ANALYSE. Das Integrationskapitel des „Österreich-Plans“ sagt sehr viel aus über die Krise bürgerlicher Politik.
Was ist Integration? Als zuständiger Staatssekretär hat Sebastian Kurz (ÖVP) 2014 noch von einem wechselseitigen Prozess gesprochen. Es gebe viele Zuwanderer in Österreich, die sich noch nicht heimisch fühlen würden, denen es auch nicht leicht gemacht werde, meinte er damals mit dem Hinweis, dass „wir zu wenig Willkommenskultur haben“.
2024 wird Integration im „Österreicheich-Plan“ von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer als Einbahnregelung dargestellt: „Wer dauerhaft in Österreich leben will, muss unsere Werte vertreten, unsere Kultur akzeptieren und sich an unser Lebensmodell anpassen.“
In einem „Krone“-Interview mit Nehammer wird davon ausgegangen, dass er eine Anpassung an eine Leitkultur meine. Was das sein soll, bleibt jedoch offen: Integrationsministerin Susanne Raab hat laut Nehammer erst den Auftrag erhalten „rechtliche Rahmenbedingungen auszuarbeiten, damit der Leitkultur sichtbar wird und was damit gemeint ist“.
Um ein konkretes Beispiel gebeten, ergänzt der Kanzler wörtlich: „Es soll eine Orientierung geben: Was ist österreichische Leitkultur. Das fängt bei der Verfassung an und aus der Ableitung der Verfassung heraus gibt es definierte Grundwerte und auch Symbole und auch eine Geschichte dazu, die gar nicht so kompliziert ist herauszudestillieren. Komplex ist es, einen rechtlichen Rahmen zu finden.“
Vielleicht ist es gerade diese Unklarheit in Bezug auf Begriffe wie Leitkultur und Lebensmodell, die die Krise bürgerlicher Politik ausmacht. Die Intention des Kanzlers ist, damit zu arbeiten, um es nicht Rechtsextremen zu überlassen. So wird aber nichts besser.
Die Verfassung und die Rechtsstaatlichkeit haben wenig mit einer österreichischen Leitkultur zu tun. Beides entspricht vielmehr Errungenschaften grenzüberschreitender Aufklärung und kennzeichnet entwickelte Demokratien; weltweit.
Österreichisch ist allenfalls ein augenzwinkernder Umgang damit, der im Begriff „Realverfassung“ mündet. Nicht einmal Entscheidendes wird demnach ernstgenommen. Würde man die sechseinhalb Millionen Wahlberechtigten im Land fragen, was rot-weiß-rote Leitkultur sei, man würde sechseinhalb Millionen verschiedene Antworten erhalten, so unklar ist das. Es würde von Mozart bis Skifahren gehen.
Prägend für bürgerliches Leben waren zum Beispiel lange Zeit Katholizismus und Kirche. Ihr Einfluss hat aber stark nachgelassen. An ihre Stelle ist vieles getreten. Unter anderem auch Orientierungslosigkeit und Leere – kaschiert durch die Betonung einer Leitkultur, die in Wirklichkeit genauso wenig weiterführt, wie etwa Mikl-Leitner’sche „Normalität“.
Woran sollen sich Zugewanderte also anpassen? Oder will man ihnen einfach nur mitteilen, dass sie mit ihren Eigenheiten grundsätzlich unerwünscht sind, weil das als Störung empfunden wird? Dass sie ausschließlich nicht auffallen sowie Deutsch reden, Schnitzel essen und allenfalls hiesiges Brauchtum mitpflegen sollen?
„Willkommenskultur“ wird seit der Flüchtlingskrise 2015 gerne abfällig mit Beliebigkeit gleichgesetzt. Im Grunde genommen würde sie jedoch Klarheit voraussetzen, die ein Zusammenleben ermöglicht. Wenn man nicht dazu in der Lage ist, teilt man Zugewanderten schlicht mit, sie hätten sich anzupassen. Punkt.