ANALYSE. Wieder einmal pro-europäisch, zumindest Dialog mit Sozialpartnern führend: Aus dem Sommer ist ein etwas anderer Sebastian Kurz zurückgekehrt. Was daraus wird, ist fraglich.
Mit großen Schlüssen sollte man vorsichtig sein, die kleinen Veränderungen sollte man jedoch sehen – ganz egal, wo man steht: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bemüht sich um eine Kurskorrektur. Und zwar in mehreren Bereichen. Vielleicht ist es eine Antwort auf einen zunehmend radikaler werdenden Koalitionspartner. Wie viel daraus werden kann, hängt jedoch auch von diesem ab.
Was man Kurz nicht absprechen kann, ist, dass er ein Sensorium für Stimmungen hat. Beispiel: 2014 sprach er davon, dass es in Österreich zu wenig Willkommenskultur gebe. Nach der Flüchtlingskrise erhielt Willkommenskultur eine neue Bedeutung und er wollte nichts mehr davon wissen. Im Gegenteil: Schließung von Balkan- und anderen -routen wurde zu seiner zentralen, um nicht zu sagen einzigen Botschaft.
So weit sind die Veränderungen heute nicht. Auffallend sind aber diese Beispiele:
1) Bei der Arbeitszeitflexibilisierung hat der Kanzler die wohl größte Kritik damit ausgelöst, dass er nicht einmal Gespräche mit den Sozialpartnern bzw. insbesondere den Arbeitnehmervertretern geführt hat. Das hat nicht zuletzt auch ihre Proteste gestärkt und zu einer gewissen Eskalation beigetragen. Nach dem Sommer setzte Kurz gleich einmal einen Sozialpartnergipfel zur Sozialversicherungsreform an. Nicht, dass er jetzt deren Forderungen übernehmen dürfte; hinterher kann er aber immerhin behaupten, dass er in altösterreichischer Tradition den Dialog gesucht habe.
„Der Bundeskanzler zeigte sich erstmals wieder als flammender Europäer.“ (Kleine Zeitung)
2) Im Frühjahr äußerte sich der Kanzler nicht nur wertschätzend über Arbeitslose. Ungenannten unterstellte er, sich durchs System „durchzuschummeln“. Das sollte die Umsetzung eines Hartz IV-Modells legitimieren. Jetzt ist es zu einer Akzentverschiebung gekommen: Kurz ruft zum nächsten Gipfel und gibt das Ziel aus, die Zahl der Arbeitslosen um 100.000 zu reduzieren. Das muss er zwar noch unterfüttern; gelingt ihm das aber einigermaßen, könnte er weniger als derjenige dastehen, der Arbeitslose bekämpft, sondern viel mehr als derjenige, der gegen Arbeitslosigkeit vorgeht.
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3) In den vergangenen Monaten stand Kurz für weniger Europa. Seine Brückenbauerfunktion hat er selbst – nicht zuletzt durch die „Achse“ mit der bayerischen CSU gegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) – unterwandert. In Alpbach hat er Ende August versucht, pro-europäische Akzente zu setzen. Die Integration sei das größte Erfolgsprojekt des 20. Jahrhunderts. „Spuren von einem früheren Kurz“, vermerkte die „Kleine Zeitung“ hinterher: In seiner Rede habe er sich „erstmals wieder als flammender Europäer“ gezeigt. Nachsatz: „Migration blieb an diesem Abend eine Randnotiz.“
Als Kanzler ist er immer auch Chef einer Koalition und steht damit auch mit dem Treiben des Koalitionspartners in Verbindung.
Wie eingangs erwähnt: Man sollte vorsichtig sein mit weitreichenden Schlüssen aus alledem. So muss sich erst weisen, wieviel dran ist; diesbezüglich ist einzig und allein Kurz selbst gefordert. Und dann gibt es da noch das ganz grundsätzliche Problem: Als Kanzler ist er immer auch Chef einer Koalition und steht damit auch mit dem Treiben des Koalitionspartners in Verbindung. Taucht Wladimir Putin nach persönlicher Einladung auf der Hochzeit der freiheitlichen Außenministerin Karin Kneissl auf oder denunziert der freiheitliche Klubobmann Johann Gudenus noch dazu völlig zu Unrecht einen jungen Asylwerber, kann er das nur bedingt überstrahlen, geschweige denn korrigieren.
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