Die Zahlen geben es nicht her

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ANALYSE. Die budgetären Herausforderungen sind (noch) größer als bisher angenommen. Darüber kann auch Christian Stocker, die Ruhe in Pension, nicht hinwegtäuschen.

Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) ist ein Phänomen: Umfragen zufolge hat er bisher keine große Bewegungen zugunsten von sich oder seiner Partei ausgelöst, genießt (gefühlt) aber Achtung. Zum einen, weil er nicht auftritt wie Sebastian Kurz oder auch sein unmittelbarer Vorgänger Karl Nehammer: Weil er auf PR-Sprech genauso verzichtet wie auf Versuche, durch eine Leitkultur- oder Normalitätsdebatte eine Art Stammtischhoheit zu erobern, womit Nehammer bekanntlich gescheitert ist. Zum anderen, weil er sich von Herbert Kickl unterscheidet, und diesem zunächst zwar das Sprungbrett ins Kanzleramt hingestellt, dann aber doch wieder weggenommen hat. Letzteres scheinen ihm nicht wenige hoch anzurechnen.

Zum dritten verkörpert der Mann die Ruhe in Person. Wobei der Kopf sagt, „Aber hallo, das allein kann’s in herausfordernden Zeiten wie diesen auch wieder nicht sein“, eine Stimme jedoch einwendet, dass es offensichtlich schon als Wert gilt, wenn endlich einmal Unaufgeregtheit herrscht und Pause ist in diesem Land.

Diese Unaufgeregtheit hat der Kanzler gerade in budgetären Fragen demonstriert. Ein EU-Defizitverfahren hätte man vermeiden können, sagte er: „Aber die Zahlen haben es nicht hergegeben.“ Man könnte auch feststellen: Ehemalige Finanzminister wie Gernot Blümel und mehr noch Magnus Brunner (beide ÖVP) haben es auf zu große Schwierigkeiten hinauslaufen lassen. Aber sei’s drum.

Laut Stocker wird die Regierung das Defizitverfahren jetzt „professionell abwickeln“. Genau das geben aber schon laut einer Prognose des Fiskalrats vom Juni die Zahlen nicht her. Selbst wenn alles umgesetzt wird, was Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) bisher geplant hat, bleibt das gesamtstaatliche Budgetdefizit demnach über der EU-Grenze von drei Prozent des BIP. Genauer: „Selbst bei vollständiger Umsetzung des geplanten Konsolidierungspfades laut Strategiebericht wird laut Einschätzung des Fiskalrates die Defizitobergrenze (bis 2029; Anm.) leicht überschritten. Zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen sind (daher) unumgänglich.“

Schlimmer: Noch nicht berücksichtig ist dabei ein Ausgabenpfad, den die Regierung in ihrem Programm für die Verteidigung angekündigt hat: Zur Herstellung und langfristigen Absicherung der Verteidigungsfähigkeit sollen bis zum Jahr 2032 zwei Prozent des BIP dafür angepeilt werden. Der Druck dazu geht nicht so sehr vom viel höheren Ziel für Nato-Staaten aus, sondern davon, dass die Verteidigungsfähigkeit Österreichs durch das Neutralitätsgesetz geboten ist und jene Europas zunehmend auch auf der EU-Agenda steht. So handelt es sich um eine Priorität der derzeitigen dänischen Ratspräsidentschaft.

In Wirklicht vorgesehen hat die österreichische Regierung bis 2029 erst Verteidigungsausgaben von 1,1 Prozent des BIP. Auf den Pfad zum Zwei-Prozent-Ziel bis 2032 fehlen damit laut Budgetdienst des Parlaments allein bis 2029 noch fünfeinhalb Milliarden Euro. Und selbst wenn ein Teil davon aufgrund neuer Fiskalregeln nicht „defizitrelevant“ nach Maastricht sein sollte, ist es Geld, das erst aufgetrieben bzw. ein zusätzlicher Kredit, der längerfristig erst finanziert werden muss – sofern noch gilt, was im Regierungsprogramm seht.

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