ANALYSE. Asyl und Migration: Innenminister Karner, aber auch Integrationsministerin Raab, sind nicht an Lösungen interessiert. Sie pflegen Probleme. Das ist ihre Geschäftsgrundlage.
Susanne Raab (ÖVP) problematisiert Integration, für die sie in der Regierung zuständig ist, einseitig. Der Satz eines Vorgängers von ihr, wonach es in Österreich schon auch „zu wenig Willkommenskultur“ gebe, würde ihr nie über die Lippen kommen. Gut, er stammt von Sebastian Kurz und aus einer Zeit, in der dieser noch nicht erkannt hatte, was mit dem Thema zu erreichen ist, wenn man es so angeht, wie es Raab bis heute versucht (schnelle Wahlerfolge). Aber das ist kein Widerspruch.
Bezeichnend wie fast schon legendär ist Raabs Anlauf, mit dem hohen Anteil von Kindern mit nicht-deutscher Umgangssprache durchzukommen. Das war der „Kronen Zeitung“ zu einfach, wurde vom Boulevardblatt kritisch hinterfragt. Immerhin heißt eine andere Umgangssprache haben noch lange nicht, nicht (perfekt) Deutsch zu können.
Doch die Integrationsministerin problematisiert weiter. Beim „Europäischen Forum Alpbach“ berichtete sie von einem Stimmungswechsel in der Bevölkerung zu Ungunsten von Flüchtlingen aus der Ukraine: Es gebe ein schwindendes Engagement und eine nachlassende Solidarität, berichtet sie. Selbst wenn das empirisch feststellbar wäre und sie auch belastbarer Angaben dazu machen könnte, würde ein schaler Beigeschmack bleiben: Sie zeigt keine Ambition, dem Stimmungswechsel im Sinne der Menschen aus der Ukraine entgegenzuwirken.
Im Gegenteil, sie leitet über zum Jahr 2015: Man dürfe nicht vergessen, dass neben 80.000 Menschen aus der Ukraine im ersten Halbjahr schon rund 40.000 Flüchtlinge aus anderen Ländern nach Österreich gekommen seien. Zusammengezählt seien das mehr als vor sieben Jahren, als man von einer Krise gesprochen habe, betont sie.
Ja: „2015 darf sich nicht wiederholen“ ist ein Stehsatz in wesentlichen Teilen der österreichischen Politik. Er soll der Profilierung dienen. Eine solche ist aber nur möglich, wenn Berichte über Entwicklungen unter die Leute gebracht werden, die Erinnerungen an dramatische Ereignisse wach werden lassen und die so letztlich auch die Nachfrage nach einer Politik befeuern, die dagegenhält. Anders ausgedrückt: Diese Politik würde ihre Existenzgrundlage verlieren, wenn es zu echten Lösungen kommen würde. Also beschränkt sie sich auf das Problematisieren.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) verweist – wie Raab – nahezu täglich auf die Asyl-Antragsstatistik. Die Zahlen gehen stark nach oben. Sie bringen aber nicht die ganze Wahrheit zum Ausdruck: Gut ein Viertel der Antragsteller zieht weiter in ein anderes Land. Genaue Zahlen dazu sind jedoch rar. Karner ist, wie das „profil“ jüngst berichtete, überhaupt ein Meister darin, die Öffentlichkeit „am Schmäh zu halten“, wenn es um Fakten zu Asyl und Migration gehe. Selbst Abgeordnete, die über ein Anfragerecht verfügen, würden von ihm „papierlt“ werden.
Wenn von 40.000 Asylantragstellern ein Viertel nicht mehr in Österreich ist, bleiben 30.000. Das sind noch immer sehr, sehr viele, aber weniger als 40.000. Es lässt tief blicken, dass Karner und Raab nicht sie erwähnen. Das ist das eine. Das andere: Lukas Gahleitner-Gertz von „Asylkoordination Österreich“ hat auf Twitter berichtet, es sei seit Monaten bekannt, dass Menschen aus Indien und Tunesien nach Serbien fliegen würden, weil sie dort visumfrei einreisen und sich dann auf den Weg in andere Länder machen könnten. Doch Österreich schaffe es nicht, dass Serbien seine Visumpolitik ändert.
Sagen wird so: Nicht einmal ein Bemühen ist erkennbar. Karner hat seine Öffentlichkeitsarbeit in den vergangenen Tagen und Wochen darauf konzentriert, rechtlich schwer- bis unmöglich Realisierbares zu fordern: Dass nach britischem Vorbild versucht wird, Asylwerber zum Beispiel nach Ruanda auszufliegen, um das Verfahren dort abzuwickeln. Genau das ist durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorerst jedoch unterbunden worden. Jetzt beginnt Karner ein „Antimarketing“, das zum Beispiel an Menschen in Indien gerichtet ist und sie davon abhalten soll, nach Österreich zu kommen. Schwer vorstellbar, dass das wirkt. Aber das ist – Unterstellung – wohl auch nicht die Absicht des Ministers. Ex-Ressortchefin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat Vergleichbares 2016 durch eine Kampagne in Afghanistan versucht. Eine Wirkung war nicht feststellbar.
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