ANALYSE. Eine Wahltagsbefragung in Bayern zeigt: Auch Links der Mitte stößt der Ruf, dafür zu sorgen, dass weniger Menschen kommen, auf erheblichen Zuspruch. Was das zum Beispiel für Andreas Babler heißt.
83 Prozent der Bayerinnen und Bayern finden, dass eine andere Asyl- und Flüchtlingspolitik notwendig ist, „damit weniger Menschen kommen“. Das hat eine Umfrage ergeben, die das Meinungsforschungsinstitut „infratest dimap“ im Auftrag der ARD anlässlich der Landtagswahl am vergangenen Sonntag durchgeführt hat. Dass es fast alle Wählerinnen und Wähler rechter Parteien tun, überrascht weniger. Bemerkenswert sind die hohen Anteile bei Wählerinnen und Wählern von Parteien, die links der Mitte stehen: Bei den Sozialdemokraten handelt es sich um zwei Drittel, bei den Grünen um gut die Hälfte (49 Prozent).
Wie eine vergleichbare Erhebung in Österreich ausgehen würde, kann man nicht genau sagen. Man kann nur davon ausgehen, dass der Zuspruch bei FPÖ- und ÖVP-Anhängern groß und bei Sozialdemokraten und Grünen weniger groß sein wird. Klein wird er möglicherweise aber auch bei diesen nicht sein. Sie wären jedenfalls gut beraten, das Befragungsergebnis aus Bayern ernst zu nehmen, zumal diese Botschaft übrigbleibt: Eine Masse ist der Meinung, dass in den vergangenen Jahren zu viele Geflüchtete gekommen sind. Die Aufnahmebereitschaft sinkt.
SPÖ-Chef Andreas Babler versucht den Fokus seiner Arbeit ungeachtet dessen vor allem auf die Teuerung und soziale Herausforderungen zu lenken, die damit einhergehen. Auf eine Asyldebatte lässt er sich nicht ein. Aus einem nachvollziehbaren Grund: Hier haben sich Freiheitliche und Türkise über die Jahre eine Hoheit erkämpft, die von weiten Teilen der Wählerschaft akzeptiert wird. Für den Fall, dass Asyl in Österreich ähnlich wie nun in Bayern neben der Teuerung zu einem entscheidenden Inhalt einer Wahlauseinandersetzung wird, muss er sich jedoch etwas einfallen lassen.
Als Bürgermeister von Traiskirchen kann er durchaus nachweisen, dass er Problemlösungskompetenz hat: Aufgrund eines Erstaufnahmezentrums ebendort gibt es keine andere Gemeinde in Österreich, in der gemessen an der Bevölkerung so viele Geflüchtete leben. Babler stellt sich den Herausforderungen und das Zusammenleben mit der örtlichen Wohnbevölkerung funktioniert so gut, dass er sich keine Sorgen machen muss, auf kommunaler Ebene wiedergewählt zu werden.
Das klappt bei weitem nicht überall. Österreich insgesamt hat ein echtes Integrationsproblem. Nicht nur, vor allem aber auch in Bezug auf Geflüchtete. Sie leben zum Beispiel eher von staatlicher Hilfe und sind damit (trotzdem) arm oder armutsgefährdet. Menschen aus der Ukraine sind in der Regel noch immer ohne Arbeit. In einigen anderen Staaten ist es – wie hier berichtet – umgekehrt; dort sind die meisten erwerbstätig. Das ist kein Zustand hizerulande. Vor allem, weil man nicht weiß, wann sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können und wie viele es dann auch tun werden.
Die Themenhoheit von FPÖ und ÖVP hin, ihre Themenhoheit her, Linke wie Babler werden nicht umhin kommen, eine neue Politik zu entwerfen: Wie kann der wachsenden Zahl an Menschen geholfen werden, deren Leben an ihrem derzeitigen Ort unzumutbar geworden ist? Welche Verpflichtung hat Österreich, wie kann es ihr gerecht werden? Einer wie Babler wird mit Antworten auf solche Fragen der FPÖ oder auch der ÖVP keine Wähler:innen wegnehmen können. Er könnte aber Leuten aus der Mitte und Linken, die schon meinen, Österreich müsse die Zuwanderung Geflüchteter begrenzen, eine befriedigende Antwort geben, um wenigstens sie ansprechen oder halten zu können.
Die Zustimmung zur eingangs erwähnten Aussage, dass eine andere Asyl- und Flüchtlingspolitik notwendig wäre, damit weniger Menschen kommen, bedeutet nicht, dass das unmöglich ist. Im Gegenteil: Zum „Wie“ gibt es einen erheblichen Spielraum, werden sich FPÖ-Wähler, denen eine „Festung Österreich“ versprochen wird, etwas anderes erwarten als potenzielle SPÖ-Wähler. Auch deren Erwartung will jedoch befriedigt werden. Sonst wird’s schwierig für die Partei, bei der kommenden Nationalratswahl auf Platz eins zu kommen.