ANALYSE. Die FPÖ ist durch die Flüchtlingskrise zur bestimmenden Partei geworden. Genauer: Durch die Selbstaufgabe ihrer größten Mitbewerber.
Am 5. September 2015 erschien auf diesem Blog der Kommentar „Wie das Lichtermeer, nur viel stärker“. Es handelte sich um einen der bis heute meistgelesenen Texte auf dieSubstanz.at. Die Einschätzung, die darin geäußert wurde, war jedoch eine glatte Fehleinschätzung: „Nachdem Asylgegner monatelang bestimmend waren, hat die Zivilgesellschaft nun so überwältigende Zeichen der Menschlichkeit gesetzt, dass die Politik in ihrem Sinne handeln muss“, hieß es unter Verweis auf Szenen am Wiener Westbahnhof, wo es eben keine Anti-Asyl-Demo gegeben hatte, sondern Flüchtlinge von Hilfsorganisationen und Bürgern empfangen und verpflegt wurden.
Gekommen ist es ganz anders: Asylgegner sind in weiterer Folge auch in der Politik noch bestimmender geworden. Die FPÖ schaffte es 2016 beinahe, mit Norbert Hofer den Bundespräsidenten zu stellen. Auch als Partei lag sie in Umfragen vorne. Dass sie damals noch nicht auf Platz eins aus einer Nationalratswahl hervorging, hatte insbesondere mit Sebastian Kurz zu tun. Der Mann, der Formulierungen wie „illegale Migration“ (statt Flucht) mitprägte und der gerne auch von „Zuwanderung ins Sozialsystem“ sprach, machte die ÖVP so vorübergehend zur Nummer eins. Bis er gehen musste und Herbert Kickl der FPÖ den bekannten Triumph bei der jüngsten Nationalratswahl bescherte.
Die FPÖ ist in Opposition geblieben, hat sich in der Asylpolitik jedoch durchgesetzt. Vom Boden- bis zum Neusiedlersee. In Vorarlberg trägt die ÖVP Strafen für Flüchtlinge mit, die sich weigern, Kurse zu besuchen und gemeinnützige Tätigkeiten zu verrichten. Damit vermittelt sie den Eindruck, dass man bei diesen Leuten Druck machen muss, damit sie etwas tun. Das ist jedoch falsch. Bisher hat es so gut wie keine Verweigerer gegeben (zwei). Im Burgenland wiederum hat die SPÖ eine Arbeitspflicht für Asylwerber eingeführt, die Entlohnung beträgt 1,60 Euro pro Stunde: Ein Ausdruck größtmöglicher Geringschätzung.
Auf Bundesebene setzt die ÖVP mit Hilfe von SPÖ und Neos die Ausrufung eines Notstands durch, um Familiennachzug für Asylberechtigte zu stoppen. Es gibt jedoch weder einen Notstand noch einen Familiennachzug wie vor wenigen Jahren, als etwa Schulen in Wien überfordert waren. Auch hier geht es einzig ums Signal.
Wie bei den Abschiebungen nach Syrien, die Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) durchführen lässt, obwohl die Menschenrechtslage in dem Land nach wie vor übel ist: Es geht darum, Teilen der Bevölkerung zu zeigen, dass jetzt andere Saiten aufgezogen werden. Man sei hart zu Flüchtlingen (siehe Vorarlberg), behandle sie eh nicht gut (Burgenland), gestehe ihnen kein Familienleben zu (Bund) und kenne bei Abschiebungen keine Gnade.
Da ist es nicht weit zur Infragestellung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie, die von Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) mitgetragen wird, musste kommen. In Wirklichkeit ein Tiefpunkt, zumal sie sich auf Oberflächlichkeit beschränkt und nicht ausspricht, was sie will: Abschiebungen durchführen, auch wenn Betroffenen im Zielland Folter drohen könnte. Die Botschaft, die bei den Leuten ankommen soll, lautet: Bei Flüchtlingen gelten Menschenrechte nur bedingt.
Vor zehn Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Heute gibt es keine größere Debatte darüber. Wie auch zum Begriff „Remigration“, also Deportation, den die FPÖ nach dem Vorbild der rechtsextremen AfD verwendet: Das verdeutlicht die Verschiebung, die stattfindet. Eine Entmenschlichung, ein zivilisatorischer Rückschritt.
Gerne wird auf Dänemark verwiesen, wo unter Führung einer sozialdemokratischen Ministerpräsidentin ein konsequenter Kurs gefahren werde. Vielleicht gibt es dabei jedoch einen großen Irrtum: Der österreichische Zugang ist nicht konsequent, sondern bösartig und vor allem populistisch. Man will nicht faire Verfahren und gute Integration von all jenen, die bleiben dürfen. Man will Probleme, um Stimmungen bedienen zu können. Das ist ein Unterschied.