ANALYSE. Zum Vorsitzwechsel: Ohne Matthias Strolz bzw. mit Beate Meinl-Reisinger muss sich die junge Partei neu aufstellen. Und das wird noch viel schwieriger als vor einem Jahr.
Im Frühjahr 2017 musste den Neos angst und bange werden. Sie konnten plötzlich nicht mehr damit rechnen, weiterhin enttäuschte ÖVP-Wähler zu gewinnen. Im Gegenteil, sie mussten eher davon ausgehen, wieder welche an die „Neue Volkspartei“ von Sebastian Kurz zu verlieren. Und wirklich: Bei der Nationalratswahl im Herbst konnten sie nur 43 Prozent ihrer Wähler vom Urnengang 2013 halten. 26 Prozent wählten schwarz bzw. türkis.
Dass sie sich trotzdem halten konnten, grenzt an ein kleines Wunder. Zu verdanken war es dem leidenschaftlichen Wahlkampf von Parteigründer Matthias Strolz, dem Rechtsruck der Sebastian-Kurz-ÖVP, der nicht allen Bürgerlichen gefiel, und dem Untergang der Grünen; ehemalige Grünen-Wähler bildeten mit zehn Prozent die zweitgrößte Wählergruppe der Pinken, wie der SORA-Wählerstromanalyse zu entnehmen ist.
… da bleibt daneben nicht viel Platz für eine dritte Position.
Umso schmerzlicher ist für die Neos der nunmehrige Abschied von Strolz: Sie sind zwar nicht die Liste Pilz, bei denen alles allein auf Peter Pilz fokussiert ist, sondern breiter und vor allem auch inhaltlich fester aufgestellt. Ob sie sich vor einem halben Jahr ohne Strolz im Hohen Haus gehalten hätten, ist aber fraglich. Mit seiner nunmehr designierten Nachfolgerin Beate Meinl-Reisinger, die immerhin schon selbst eine erfolgreiche Wiener Gemeinderatswahl (2015) geschlagen hat, wäre es vielleicht auch gegangen, das ist aber nicht sicher. Es wäre wohl jedenfalls ein anderes Wahlergebnis bzw. eine etwas andere Wählerschaft herausgekommen. Mehr denn je zählt schließlich die Spitzenkandidatin, der Spitzenkandidat.
Hier geht es jedoch um die Zukunft: Und was das betrifft, stehen die Neos als 5,3-Prozent-Partei vor wachsenden existenziellen Herausforderungen. Wobei es im Wesentlichen darum geht: Schaffen sie es, bei so polarisierenden Themen wie Asyl, Islam, Integration, mehr oder weniger Staat und vor allem etwa Arbeitszeitflexibilisierung (bzw. Arbeitnehmerrechte) eine unverkennbare, wahrnehmbare Position zu beziehen oder nicht? Für sie ist das ungleich schwerer als für ihre Mitbewerber: Was ÖVP und FPÖ bei der Arbeitszeitflexibilisierung vorhaben, entzückt zum Beispiel nicht nur die Wirtschaftskammer, sondern viel mehr noch die Industriellenvereinigung und mit ihr wohl auch zahlreiche Arbeitgeber. Die Gegenposition gehört Sozialdemokraten inkl. Arbeitnehmervertretern. Da bleibt daneben nicht viel Platz für eine dritte Position.
Hinzu kommt für die Neos, dass mehr denn je andere die Themen bestimmen. Allen voran Sebastian Kurz.
Ebenfalls erfreuen wird die Koalition bei anhaltender Konjunkturlage 2020 und folgende aller Voraussicht nach dieselben Gruppen, die zu einem erheblichen Teil zumindest wirtschaftsliberal ticken: Stichwort: „Senkung der Körperschaftsteuer“, Stichwort „Abschaffung kalte Progression“. Auch hier können die Neos allenfalls „mehr davon“ fordern. Im Gegensatz zu den Linken, denen solche Geschichten geradezu klassenkämpferische Kampagnen ermöglichen.
Hinzu kommt für die Neos, dass mehr denn je andere die Themen bestimmen. Allen voran Sebastian Kurz mit Balkanroute, Mittelmeeroute, Albanienroute und in absehbarer Zeit wohl EU-Außengrenzschutz. Daneben zu versuchen, zum Beispiel eine Bildungsdebatte zu eröffnen, wie es Strolz 2013 geschafft hat, ist im Moment eher aussichtslos. PS: Gerade wieder warnt Kurz „vor einer Verschärfung der Flüchtlingskrise“.
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