ANALYSE. Allein darauf zu setzen, dass der Außen- und Integrationsminister gewisse Missstände mitverantworte und der ungeliebten ÖVP angehöre, ist ein bisschen wenig. Zumal das ganz offensichtlich niemanden beeindruckt.
Die eine oder andere Botschaft von Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist so identisch, dass sie austauschbar ist: „Ich halte es für ungerecht, wenn eine Flüchtlingsfamilie 2000 Euro erhält, obwohl sie noch nie ins Sozialsystem eingezahlt hat, und ein Pensionist, der ein Leben lang gearbeitet hat, mit nur 1000 Euro auskommen muss“, sagte Kurz am vergangenen Wochenende. „Wir haben eine Fairnesskrise“, stellte Strache am Montag im ORF-Sommergespräch fest: Jemand, der ein Leben lang gearbeitet hat, bekomme kaum mehr Pension als ein Flüchtling, der noch nie ins System eingezahlt hat, Mindestsicherung.
Das ist ein und derselbe „Spin“, das ist an eine Zielgruppe gerichtet: All jene Österreicher, für die „Flüchtlinge“ im weitesten Sinne nach wie vor ganz oben auf der politischen Agenda steht. Und zwar als hinten und vorne ungelöstes Problem in jeder Hinsicht. Seit der Bundespräsidenten-Wahl im vergangenen Dezember kann man zwar davon ausgehen, dass damit keine absolute, aber noch immer eine relative Mehrheit zu machen ist. Was wiederum bedeutet, dass Kurz und Strache einander in diesem Wahlkampf die größten Wettbewerber sind. Ist der eine stark, ist der andere schwach. Siehe Umfragewerte.
Das ORF-Sommergespräch war für den FPÖ-Chef die erste große Gelegenheit, in dieser Auseinandersetzung zu punkten. Genützt hat er sie nicht. Er weiß ganz offensichtlich auch zwei Monate vor dem Urnengang keine wirkungsvolle Antwort auf Kurz. Entscheidende Botschaften des ÖVP-Mannes stimmen, wie eingangs beispielhaft angeführt, mit seinen überein. Sie noch weiter zuzuspitzen ist schwer. Strache versucht es jedoch ohnehin anders: Erstens, er weist darauf hin, dass Kurz als Regierungsmitglied schon länger Mitverantwortung für gewisse Zustände trägt. Zweitens, er bringt ihn ausdrücklich in Verbindung mit der ÖVP, die über die vergangenen Jahre ein ordentliches Imageproblem aufgebaut hat. Und drittens, er warnt, dass nach dem 15. Oktober die bisherige Koalition fortgesetzt werde.
Das sind denkbar schlechte Punkte. Zum ersten: Kurz hat es auch als Regierungsmitglied geschafft, eine Art Problemaufdecker-Kompetenz zu entwickeln, die ihm gleich auch eine Lösungskompetenz zuschreibt (darüber kann man sich wundern, es ist aber so). Soll heißen: Ein größeres Glaubwürdigkeitsproblem hat er nicht. Im Gegenteil, seine Vertrauenswerte sind noch immer die besten.
Zum zweiten Punkt: Kurz hat es im Übrigen geschafft, sich gewissermaßen über die ÖVP hinwegzusetzen. Und zwar, indem er in der Partei gleich einmal so sehr aufgeräumt hat, dass von ihr nicht mehr viel zu sehen ist. Wofür ihm ziemlich viele Bürgerliche sogar dankbar sind. Sprich: Er ist zwar ÖVP-Bundesparteiobmann. Das schadet ihm aber kaum. Vielleicht auch, weil die ÖVP im Moment ausschließlich er ist.
Und dann wäre da noch der dritte Punkt: „Rot-Schwarz oder Schwarz-Rot“ nämlich. Schon allein die Differenzen zwischen Kurz und Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) machen eine solche Warnung wirkungslos. Man kann zwar nicht ausschließen, dass die „Große Koalition“ bleibt; im Moment ist sie aber so etwas von tot. Abgesehen davon könnte die entscheidende Frage für die Wähler am Ende viel eher lauten: „Schwarz-Blau oder nicht Schwarz-Blau?“ Und das wäre ganz und gar nicht im Sinne Straches.