ANALYSE. Die Kampfabstimmung zwischen Schieder und Ludwig kommt zur Unzeit, zu wichtigen Landtagswahlen nämlich. Doch die beiden senden keine Signale aus, die der Partei noch eine Perspektive in Geschlossenheit schenken könnten. Im Gegenteil.
Sozialdemokraten können sehr diszipliniert sein. Nachdem einige von ihnen in Bezug auf den Wiener Bürgermeister und Landesparteivorsitzenden Michel Häupl zuletzt immer wieder Zweifel daran aufkommen ließen, reißen sich jetzt eigentlich alle ganz gut zusammen. Von einem Christian Deutsch beispielsweise ist nichts mehr zu hören. Eine Zeit lang ließ er jeden, des es hören wollte, wissen, dass Häupl gehen müsse. Vor allem Journalisten durften dankbar darüber sein. Jetzt schweigt er.
Man sollte sich jedoch nichts vormachen lassen: Gar nichts ist bereinigt. Die Gräben in der Partei sind in Wirklichkeit tief wie eh und je. Genossen bis hinauf zu Michael Ludwig und Andreas Schieder, die nun um die Häupl-Nachfolge wetteifern, mögen betonen, dass es inhaltlich eigentlich keine großen Differenzen gebe; und dass man als Demokraten das Ergebnis der Kampfabstimmung am 27. Jänner selbstverständlich akzeptieren, tags darauf also wieder zur Tagesordnung zurückkehren werde.
Solche Äußerungen sollte man jedoch nicht überbewerten: Wenn Schieder verliert, wird er halt weiterhin „nur“ im Nationalrat sitzen. Für ihn persönlich ändert sich am wenigsten. Aber für Regierungsmitglieder wie Renate Brauner, Jürgen Czernohorszky und Sandra Frauenberger wird wohl ein gewisser Entfremdungsprozess einsetzen. Weil Ludwig eher nicht der Mann ist, der die Zukunft „ihrer“ Sozialdemokratie verkörpert; im Gegenteil. Umgekehrt gilt Ähnliches: Gewinnt Schieder, werden wesentliche Bezirksvorsitzende, wie Ernst Nevrivy (Donaustadt) und Harald Troch (Simmering), nicht nur enttäuscht sein; sie werden sich neue Möglichkeiten suchen müssen, ihre FPÖ-affine Politik durchzusetzen.
„Und wo genau ist jetzt eigentlich der Unterschied zu einem FPÖ-Politiker?“
Denn das ist durch ein Interview, das Michael Ludwig nun der Tageszeitung „Die Presse“ gegeben hat, deutlicher denn je: Mit ihm zieht die Partei nach rechts. Er mag sich zu Rot-Grün bekennen und sich als Gegengewicht zu Schwarz-Blau auf Bundesebene ausgeben. Aber das, was er inhaltlich sagt, wirft die Frage auf: „Und wo genau ist jetzt eigentlich der Unterschied zu einem FPÖ-Politiker, der zumindest auf Hetze verzichtet?“ Der Mann sieht eine „Schutzfunktion für die Wiener Bevölkerung“. Seine Wiener zuerst-Devise will er über die Wohnungsvergabe hinaus ausweiten. Zum Beispiel auf den Zugang zum Sozialsystem (Schieder will eine solche ebenfalls, aber nur für Mindestsicherungsbezieher aus anderen Bundesländern; Anm.). Abgesehen davon gibt’s überhaupt zu viel Zuwanderung, die Stadt wächst zu schnell. Das kommt einem bekannt vor. Von Freiheitlichen und zum Teil auch Vertretern der Neuen Volkspartei.
Soll heißen: Wer immer sich bei der Kampfabstimmung durchsetzt, die Richtungsentscheidung ist zu groß und die Gräben zwischen den parteiinternen Gruppierungen sind zu tief, als dass das Verliererlager am Abend des besagten 27. Jänner einfach feststellen wird: „Okay, die Mehrheit hat entschieden, jetzt gehen wir gemeinsam ans Werk.“
Vor allem in Kärnten bräuchten die Genossen dringend Rückenwind. Auch aus Wien.
Schon die Ungewissheit bis dahin ist ein Problem für die SPÖ im Hinblick auf die für sie extrem wichtige Landtagswahl in Niederösterreich; dort ist jeder fünfte Österreicher wahlberechtigt. Und zwar keine 24 Stunden nach dieser Entscheidung in der Bundeshauptstadt, die unabsehbare Konsequenzen haben wird. Und dann folgen ja noch die Urnengänge in Tirol, Salzburg und vor allem Kärnten, wo die Genossen dringend Rückenwind brauchen, um sich an der Spitze halten zu können. Doch einen solchen gibt es nur, wenn auch in Wien alles passt.
Das einzige, was Schieder und Ludwig da theoretisch noch liefern könnten, ist ein starkes Signal an das jeweilige Gegenlager; eine Perspektive also, wie es gemeinsam weitergehen könnte. Praktisch sind sie dazu mitten im Wettstreit aber nicht mehr in der Lage – und ist es möglicherweise überhaupt auch schon zu spät.
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