ANALYSE. Für den Bundeskanzler ist der Grat im Umgang mit den Freiheitlichen sehr breit geworden.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kann ein sehr zurückhaltender Mann sein. Am deutlichsten ist er bisher jedenfalls auf Zuruf geworden: Erst nachdem der nö. Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll in der Causa Landbauer notwendige Konsequenzen eingefordert hatte, sorgte er auch dafür. Das war wichtig. Zu oft aber sollte er ein solches Abspiel in seiner Position nicht vorkommen lassen; immerhin geht es um seine Führungsqualität, seine Autorität und seine Glaubwürdigkeit.
Im Wahlkampf hat Kurz einem neuen Stil das Wort geredet. Sachliche Auseinandersetzung statt Untergriffe. Genau diese (Untergriffe) liefert nun jedoch ausgerechnet sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) auf einem nie dagewesenen Niveau (vgl. Angriff gegen Armin Wolf). Womit Kurz schon von da her gezwungen wäre, sehr, sehr deutlich einzugreifen. Das ist, weil Strache ja nicht seiner Partei angehört und er auch keine Richtlinienkompetenz gegenüber diesem bisher, grundsätzlich nicht ganz einfach, wird aber immer weniger schwer; doch dazu später.
Auch in der Europalpolitik macht Strache dem Kanzler gehörig zu schaffen. Zwar hat er diese zur Sicherheit mit ins Kanzleramt genommen, das aber erweist sich nun als nur begrenzt wirksam: Wenn sich Strache auf dem Balkan wie ein Elefant im Porzellanladen aufführt, dann tangiert das ganz wesentlich auch die gesamte Europapolitik. Und zwar so sehr, dass der CSU-Politiker Bernd Posselt bereits den Rücktritt von Strache gefordert hat. Da kann sich Kurz hinterher nicht nur mit Klarstellungen von Strache zufrieden geben, wie er es tut.
Schon nach wenigen Wochen ist nicht Kurz abhängig von Strache; es ist vielmehr umgekehrt.
Sebastian Kurz müsste und könnte sich all das nicht nur nicht bieten lassen; es wäre sogar zunehmend ein Leichtes für ihn, sich öffentlich hinzustellen, unmissverständliche Klarstellungen vorzunehmen und Strache in aller Deutlichkeit zurechtzuweisen: Dessen Möglichkeiten, das zu ignorieren oder gar zu widersprechen, gehen nämlich gegen null.
Schon wenige Wochen nach ihrem Regierungseintritt ist die FPÖ besonders angreifbar: Sie hat Dinge, wie den 12-Stunden-Tag, mitgetragen, die ihren Anhängern in zu schlechter Erinnerung sind. Sie hatte mit Udo Landbauer einen Spitzenkandidaten in Niederösterreich, der selbst eigenen Sympathisanten zu weit gegangen ist (sonst wären bei der Landtagswahl nicht so viele zu Hause geblieben). Und vor allem muss sie nun mit der Historikerkommission erhebliche Unruhe in die Burschenschafterkreise bringen, von denen sie mehr denn je getragen wird; schon allein die Einsetzung ist schließlich ein Eingeständnis, dass es da wirklich etwas aufzuklären gibt.
Soll heißen: Strache kann unter all diesen Umständen keine Drohkulisse gegenüber Kurz aufziehen, die diesem immer auch signalisieren müsste, dass er von ihm abhängig ist. Es ist vielmehr umgekehrt: Im Moment ist Strache eher abhängig von Kurz und davon, dass diese Koalition so lange hält, dass sich die Dinge für ihn und seine Partei vielleicht wieder zum Besseren ändern.
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