ANALYSE. Der starke Mann der FPÖ arbeitet mit einem gefährlichen Mob. Wobei das Schlimme ist, dass er persönlich eher nur gewinnen kann.
Der starke Mann der FPÖ ist nicht Bundesparteiobmann Norbert Hofer, sondern Fraktionschef Herbert Kickl. Das ist jetzt klar. Er ist Kopf eines Mobs, der so unberechenbar wie gefährlich ist, der ein Versicherungsgebäude stürmt und dem etwa auch der Neonazi Gottfried Küssel angehört. Wogegen sich Kickl naturgemäß verwehren würde; mit Küssel wie Gewalttätigen würde er nichts zu tun haben wollen. Die Sache ist jedoch die: Kickl hat sich mit diversen Reden auf „Anti-Corona-Kundgebungen“ zum Kopf einer Bewegung gemacht, die schwer zu fassen und schon gar nicht zu kontrollieren ist. Und vor allem macht er sich nicht einmal die Mühe, sich von irgendjemandem oder irgendetwas klar und deutlich zu distanzieren. Also nimmt er in Kauf, dass hier fast alles in Verbindung gebracht werden kann mit ihm.
Der 52-jährige befindet sich in einer furchtbar starken Position. Innerhalb der FPÖ profiliert er sich gerade doppelt: Wie Heinz-Christian Strache infolge der Flüchtlingskrise entwickelt er sich nun in der Coronakrise zum führenden Vertreter einer Masse, die für die Regierung kritisch werden könnte. Er emanzipiert sich von Strache. Man sollte seine Chancen nicht unterschätzen: Nicht wenige Menschen in Österreich lehnen Masken und Restaurantschließungen ab, meinen noch immer, es gebe nur eine längere Grippesaison. Von Impfungen wollen sie so oder so nichts wissen. Vor allem aber misstrauen immer mehr der Regierung.
Da könnte die FPÖ einiges aufsaugen und so zumindest die Ibiza-Affäre und vieles, was damit einherging, überwinden. Was Kickl hilft bei alledem, ist eine türkise Beißhemmung. Dass er von Innenminister Karl Nehammer zu hören bekommt, dass sein „Bündnis mit Rechtsextremen unseren Rechtsstaat gefährdet und die Gesundheit sowie die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher in Gefahr“ bringe, kann er verschmerzen. Dass er mit Generalsekretär Alexander Melchior nur von einem wenig bekannten Mann aus der zweiten, dritten ÖVP-Reihe zum Rücktritt aufgefordert wird, wird ihn unter Umständen eher belustigen.
Die ÖVP will ausschließlich ihn persönlich rügen, nicht aber die FPÖ angreifen; damit stärkt sie ihn zugleich jedoch parteiintern. Motto: „Endlich werden wir wieder wahrgenommen.“ ÖVP-Chef, Kanzler Sebastian Kurz hält sich überhaupt zurück, wie er das in anderen Fällen so ganz und gar nicht tut. Vergangene Woche hat er Journalisten sogar nur wegen eines Berichts des Peter Pilz-Blogs Zackzack zu einer Pressekonferenz geladen.
Die Volkspartei hat ein doppeltes Problem mit den Freiheitlichen: Das sind ihre wichtigsten Gegner und Partner zugleich. Sie fischt mit diesen in Wählerteichen, die ineinander übergehen. Von daher mag die ÖVP nie sagen, dass sie keine Regierung mit den Freiheitlichen bilden würde. Nicht einmal im Nationalratswahlkampf vor eineinhalb Jahren, der auf Ibiza gefolgt ist, hat Sebastian Kurz das getan. Das hat bei weitem nicht nur damit zu tun, dass er auf Dauer nach wie vor nur mit ihnen seine Gesellschafts-, Sozial- Justiz- sowie Flüchtlings- und Migrationspolitik verwirklichen kann.
Kurz lebt vor allem auch von ehemaligen FPÖ-Wählern, bei denen er immer aufpassen muss, sie nicht zu enttäuschen und damit wieder an die FPÖ zu verlieren: Bei der Nationalratswahl 2017 gelang es ihm laut SORA-Analyse, 168.000 zu holen und 2019 noch einmal 258.000. Ja, in Wirklichkeit geht es Richtung halbe Million, wenn man bedenkt, dass die 44.000 BZÖ- und 114.000 Team-Stronach-Wähler, die er vor vier Jahren zudem überzeugen konnte, zum Teil in der Vergangenheit auch schon mit den Freiheitlichen sympathisiert hatten.
dieSubstanz.at spricht Sie an? Unterstützen Sie dieSubstanz.at >