BERICHT. Interessanterweise beschäftigt man sich erst bei prominenten Häftlingen mit den Verhältnissen hinter Gittern. Sie sind katastrophal, um eine langjährige ÖVP-Politikern zu zitieren.
„Falter“-Chefredakteur Florian Klenk beschäftigt sich seit Jahren mit der Justiz. Er hat eine Ahnung davon, wie es bei Prozessen zugeht, aber auch in den Gefängnissen. Zum Haftantritt von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser im Innsbrucker „Ziegelstadl“ hat er geschrieben, was dieser erleben werde. Wobei: Grasser könnte insofern Glück haben, als er aus Schutz vor Erpressungen und Übergriffen vielleicht in einer Einzelzelle untergebracht ist; wie Rene Benko in Wien.
Dort gibt es Abteilungen wie jene, über die Klenk beispielsweise berichtet: „Bei einer Haftvisite im Jugendtrakt in Wien entdeckte der Falter nicht nur völlig unhygienische Sanitärräume, sondern sogar Kakerlaken, die aus Steckdosen neben den Betten krochen. Wäre die Haftanstalt ein Betrieb, die Gesundheitsbehörde hätte ihn sofort geschlossen und die Betreiber bestraft.“
Zu den größten Missständen in österreichischen Gefängnissen tragen ganz offensichtlich Überbelegung, also zu viele Häftlinge, sowie Personalmangel bei. Das ist sozusagen amtsbekannt. Interessanterweise beschäftig man sich aber erst bei einem prominenten Häftling wie eben Grasser damit. Das ist an dieser Stellte selbstkritisch gemeint.
Die Zustände in den Haftanstalten seien „katastrophal“, kritisierte Gaby Schwarz, die von Sebastian Kurz 2017 zur ÖVP und in den Nationalrat geholt worden war, als nunmehrige Volksanwältin im vergangenen August: „Hohe Belegzahlen und zu wenig Personal gehören zu den prekären Bedingungen, die von Insassen wie auch von der Volksanwaltschaft bei Sprechtagen beobachtet werden. Die Folge sind schlechte Versorgungsbedingungen, erschwerte Resozialisierung und sogar steigende Suizidzahlen.“
Diese sind belegt: 2019 gab es in allen Gefängnissen zusammen neun Suizidversuche und vier Suizide, insgesamt also 13 Fälle. Im vergangenen Jahr handelte es sich mit 60 um rund fünf Mal mehr (48 Suizidversuche und zwölf Suizide).
Populistisches „Sparen im System“ hat hier dramatische Folgen. Auch der Europarat hat das in einem Bericht vor zwei Jahren festgestellt. Bei einer Visite ist er auf U-Häftlinge gestoßen, die kaum Bewegungsmöglichkeiten im Freien gehabt hätten und bis zu 23 Stunden am Tag in ihren Zellen eingesperrt gewesen seien.
Obwohl der Europarat schon 2009 und 2014 auf diesen Missstand hingewiesen habe, sei ihm auch bei seiner nunmehrigen Visite 2021 aufgefallen, „dass die „Nachtschicht“ der Vollzugsbediensteten aufgrund des Personalmangels gewöhnlich um 15 Uhr begann (und in den Justizanstalten Innsbruck und Leoben an Freitagen und Wochenenden sogar bereits um 12 Uhr mittags), wodurch es am Nachmittag und an Wochenenden ein begrenztes Angebot an Aktivitäten gab und die meisten Häftlinge bis zum folgenden Morgen in ihren Zellen eingesperrt waren.“
Stark verbesserungsbedürftig sind die Zustände laut Europarat auch im Polizeianhaltezentrum Wien-Hernalser Gürtel, wo Schubhäftlinge untergebracht sind: Sicherheitszellen seien sieben Quadratmeter groß und baulich zwar in einem „akzeptablen Zustand“. Die Frischluftzufuhr in den „gut geheizten“ Räumen sei jedoch begrenzt und daher sei es „stickig“. Decken und Kissen gebe es keine. Nur eine „kahle Matratze“. Die künstliche Beleuchtung bleibe in der Nacht eingeschaltet.
Empfehlungen des Europarats: Es solle dafür gesorgt werden, dass „alle Sicherheitszellen ausreichend belüftet werden und dass die künstliche Beleuchtung in diesen Zellen nachts stets angemessen gedämpft wird; allen in einer Sicherheitszelle untergebrachten Personen eine Decke und ein Kissen zur Verfügung gestellt wird (wenn nötig suizidsicher) sowie unmittelbar Zugang zu Trinkwasser und regelmäßiger Zugang zu einer Dusche gewährt wird.“