ANALYSE. Während Kampagnen in eigener Sache hochprofessionell sind, kommen jene fürs Impfen nicht einmal amateurhaft daher: Sebastian Kurz lässt tief blicken.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat ein Problem: Diesmal ist es gar nicht so einfach, andere verantwortlich zu machen für das allgemeine Versagen. In Bezug auf die Corona-Impfquote fällt Österreich im internationalen Vergleich immer weiter zurück, wie die Zahlen belegen, die auf der Website „Out World in Data“ angeführt sind. Nach Italien, Deutschland und vielen anderen könnte in wenigen Tagen auch die Schweiz davonziehen. Gemessen an der Bevölkerung werden dort gerade zwei Mal mehr Impfungen verabreicht als hierzulande.
Problem A) für Kurz: Er hat Coronaimpfungen schon um den Jahreswechsel zur Chefsache erklärt. Die Leute des damaligen Gesundheitsministers Rudolf Anschober (Grüne) hatten zumindest in der Außenwirkung ja auch wirklich einen fürchterlichen Job geliefert. Problem B): Kurz hat zusätzlich auch noch Corona-Informationskampagnen der Regierung bei sich bündeln lassen. In Summe steht er damit doppelt in der Verantwortung.
Keine Frage: Es ist Verantwortung jeder Bürgerin, jedes Bürgers, sich zu informieren und sich nach Möglichkeit impfen zu lassen. Es ist außerdem Verantwortung auch von Oppositionsparteien wie Herbert Kickls FPÖ, gemeingefährliche Stimmungsmache zu unterlassen. Es ist vor allem aber auch Verantwortung einer Regierung, Beiträge zum Gelingen einer Impfkampagne zu leisten.
„Stell Dir vor, es ist Impfung und keiner geht hin“, schrieb der Verhaltensökonom Florian Spitzer am 22. Dezember 2020. Nicht irgendwo, sondern auf dem Blog von „Insight Austria“, einer Forschungsgruppe, die vom ehemaligen IHS-Chef und nunmehrigen Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) mitbegründet worden ist. Parktische Politik tut seither alles, wovor Spitzer warnt.
So wie sich die Regierung laut einem aktuellen Rechnungshof-Rohbericht nicht weiter mit dem Infektionsgeschehen und Phänomen wie Long-Covid auseinandergesetzt hat, so hat sie auch nicht untersuchen lassen, was die Menschen in Österreich bewegt, wenn’s ums Impfen geht. Sie hat keine Werbefilme wie Frankreich erstellen lassen, die unter die Haut gehen. Ja, Kurz hat auch keine Rede wie der dortige Präsident Emmanuel Macron gehalten, die in Verbindung mit konkreten Maßnahmen Hunderttausende dazu brachte, mitzumachen.
Das mit dem Nicht-untersuchen-lassen genauerer Umstände hat mit einer ausgeprägten Wissenschaftsfeindlichkeit zu tun. Das Fehlen einer zeitgemäßen, professionellen Kampagne sowie einer starken Rede weist auf etwas ganz anderes hin: Kurz regiert ausschließlich in eigener Sache, das Volk spielt nur bei Wahlen eine Rolle, um ein Weiterregieren zum erwähnten Zweck zu ermöglichen.
Wenn’s sein soll, kann der Kanzler und ÖVP-Chef werben und reden wie kein anderer. Zu seiner Rhetorik sind schon Bücher (wie dieses hier) erschienen, in denen eindrucksvoll beschrieben ist, warum und wie es ihm gelingt, Massen auf seine Seite zu ziehen. Zu den Inseraten berichtet dieSubstanz.at regelmäßig: Noch kein Kanzler hat so viel Geld dafür ausgegeben wie er. Und wenn es nun heißt, dass das auch mit Corona zu tun habe, dann unterstreicht das umso mehr, dass in sehr vieles, nur nicht in eine wirkungsvolle Impfkampagne investiert wurde – obwohl es hier um einen „Game-Changer“ (Kurz) geht.
Die Suche nach Schuldigen läuft trotzdem. Stefan Kappacher führt aus, wie vermeintliche Treffer ihren Weg an die Öffentlichkeit finden. Nachdem der Verleger Horst Pirker die mutmaßliche Inseratenkorruption angeprangert hatte, will sich das Kanzleramt im Sommer nicht mehr getraut haben, groß zu werben. „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak versuchte sogar, das als wahren Grund unter die Leute bringen.
Wenn das wahr wäre, müsste Sebastian Kurz aufhören, zu regieren, könnte er es doch nicht einmal mehr mit viel Werbung in eigener Sache tun. Aber daran denkt er nicht. Er und seine Leute sind weiter hyperaktiv. Am vergangenen Freitag lieferte die „Kleine Zeitung“ in ihrer Morgenpost eine Episode, die das belegt: Kaum war der Blattaufmacher „Irrgarten der Pandemie“ erschienen, mit dem die jüngsten Coronamaßnahmen der Regierung auf den Punkt gebracht wurden, tippte laut Chefredakteur Hubert Patterer der Medienbeauftragte des Kanzlers „grußlos ein mittelgiftiges SMS (an Patterer; Anm.) ins Handy: „Vielen Dank für die freundliche Mithilfe. Hashtag Irrgarten der Pandemie. Hashtag Zynismus“.
Man könnte lachen, wenn es nicht so schlimm wäre: Der Medienbeauftragte des Kanzlers ist der Mann, der gerade die neue ORF-Führung mitbestellt hat; der bei existenzsichernden Geldflüssen an Zeitungen mitmischt; und der nebenbei auch Sebastian Kurz persönlich verbunden ist. Dieser Mann meint nicht nur, sondern schreibt offenbar auch, dass freundliche Mithilfe der Medien erwartet werde.
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