ANALYSE. Bei der Arbeitszeitflexibilisierung demonstrieren ÖVP und FPÖ, dass sie sich selbst wirklich am Gefährlichsten sind.
„,Arbeitszeitflexibilisierung jetzt!‘ tönt es seit geraumer Zeit aus den Chefetagen mancher Unternehmen und Interessenverbände. Gerne – wenn wir gleichzeitig auch für die ArbeitnehmerInnen für mehr Spielraum sorgen, ihre Arbeitszeit – und damit auch ihr Leben – nach ihren ganz persönlichen Bedürfnissen und Wünschen gestalten zu können.“ Wer das gesagt hat? Genau genommen niemand: Es steht vielmehr so im „Plan A“ geschrieben, den der damalige Kanzler Christian Kern (SPÖ) vor eineinhalb Jahren in Wels präsentiert hat. Womit zwei Signale einhergingen: Die Sozialdemokratie sieht ebenfalls Handlungsbedarf; und sie wäre auch gesprächsbereit.
Die Vorgangsweise sei „nicht schön“, gesteht Karlheinz Kopf (ÖVP).
Umso verhängnisvoller für die Regierung, dass sie das jetzt nicht aufgenommen hat: Das wäre eine Einladung gewesen, Gespräche mit der SPÖ oder den Sozialpartnern zu führen, um so zumindest die Arbeitnehmervertreter an einen Tisch zu holen. Aber nein: Man schafft allein Fakten. Und zwar nicht einmal über einen Begutachtungsentwurf, der eine ausführliche Debatte dazu ermöglichen würde, sondern über einen Initiativantrag, damit das Ganze schnell durchgezogen werden kann. Die Vorgangsweise sei „nicht schön“, gesteht Ex-ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf, seines Zeichens Abgeordneter und designierter Wirtschaftskammer-Generalsekretär.
Sie ist, um es direkter anzusprechen, eine unnötige Provokation: Verhandlungen hätten sehr wahrscheinlich zu keinem Ergebnis geführt. Das hätten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Übrigen allemal steuern können. Wären Verhandlungen gescheitert, hätte ihre Regierung aber eine ganz andere Legitimationsgrundlage, die Arbeitszeitflexibilisierung eben alleine zu beschließen. Motto: „Mit den Reformverweigerern geht’s ja nicht.“
„Das war ursprünglich nicht unser Plan.“ (IV-Präsident Kapsch)
So aber handelt es sich für sich genommen schon um eine Art Einladung an die Gewerkschafter, Kampfmaßnahmen einzuleiten. Wer soll ihnen das verübeln? Zumal mit dem Initiativantrag und einigen Äußerungen dazu Dinge einhergehen, die kaum zu glauben sind: Bei Gleitzeitbeschäftigen gehen ÖVP und FPÖ zum Nachteil dieser Frauen und Männer weiter, als es sich die Industriellenvereinigung wünscht. „Das war ursprünglich nicht unser Plan“, so IV-Präsident Georg Kapsch „Im Zentrum“. Wobei man nicht ausschließlich kann, dass die Verschärfung passiert ist: Man muss beispielsweise befürchten, dass Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) nicht abzuschätzen kann, worum es geht. Das verdeutlicht ein Wortlautprotoll eines Interviews mit ihr im Ö1-Journal zu Gast, das neuwal.com erstellt hat.
„Sie bestreiten das jetzt.“ Hartinger-Klein: „Mhm.“
BEATE HARTINGER-KLEIN: Also, ich freue mich sehr über diesen Initiativantrag, weil es letztendlich den ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit bietet, flexibel ihre Lebenswelt auch einzuteilen.
STEFAN KAPPACHER (Ö1): Aber ‚freiwillig‘ steht nicht drinnen. Also, das könnte man doch hineinschreiben, oder?
BEATE HARTINGER-KLEIN: Schauen Sie, es nichts anderes, dieser Initiativantrag, als die Umsetzung von Betriebsvereinbarungen, die es schon gibt. Und andererseits auch, was 2017 von Sozialpartnern zusammen verhandelt wurde.
STEFAN KAPPACHER: In den meisten dieser Betriebsvereinbarungen steht drinnen, dass die 11. und 12. Überstunde, die ja in Ausnahmefällen jetzt schon möglich ist, mit einem Zuschlag von 100 Prozent abgegolten wird. Das streichen Sie mit diesem neuen Gesetz komplett. Die Gewerkschaft spricht in dem Zusammenhang von ‚Lohnraub‘. Was sagen Sie dazu?
BEATE HARTINGER-KLEIN: Man muss sich wirklich das genau anschauen. Und Sie werden sehen, dass das nicht stimmt.
STEFAN KAPPACHER: Sie bestreiten das jetzt.
BEATE HARTINGER-KLEIN: Mhm.
Mhm: Vor diesem Hintergrund kann die Regierung nicht erwarten, dass die 3,7 Millionen Beschäftigten ein gewisses Verständnis für die Arbeitszeitflexibilisierung aufbringen. Im Gegenteil: Wenn nicht einmal die Sozialministerin sagen kann, was das bedeutet, müssen sie das Schlimmste befürchten und anfällig sein für übelste „Gräuelpropaganda“ durch die Gewerkschaft, um es mit den Worten von Wirtschatskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP) auszudrücken – sofern sich diese Propaganda nicht ohnehin erübrigt.
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