ANALYSE. Entscheidend sind glaubwürdige Angebote für Menschen, die nach Jahrzehnten der Verbesserung eine Verschlechterung der Verhältnisse für sie sehen. Da ist auch für ÖVP und SPÖ viel möglich.
„Die Mitte“, was ist das schon? Zum Beispiel dies: Parteien, die sich zu Demokratie sowie Grund- und Freiheitsrechten bekennen; die sich um gebildete, informierte Bürger bemühen; die an Chancengerechtigkeit interessiert sind. Die sich insofern also von radikalen Kräften unterscheiden, die autoritär durchgreifen, wo es ihnen gefällt, die Bürger erster und gar keiner Klasse sehen und die wie Kickl so tun, als gebe es nur ein Volk mit einem Interesse und einer Meinung, die de facto also alle für dumm verkaufen.
Zur Mitte können daher Rote, Schwarze, Grüne und Pinke gezählt werden. Ihre Zugänge mögen unterschiedlich sein, sie erfüllen jedoch die erwähnten, allgemeinen Kriterien.
Zweitens: Ins Zentrum wird gerne die Frage gestellt, wie mit Herbert Kickl und seinesgleichen umzugehen ist. Beziehungsweise der FPÖ in Österreich und der AfD in Deutschland. In einem Papier, das die „Konrad Adenauer-Stiftung“ erstellen ließ und in dem die beiden Parteien miteinander verglichen werden, gibt es eine – vielleicht unbefriedigend wirkende – Antwort darauf:
„Seriöse Schlüsse darüber, welche Strategie aus Sicht der übrigen Parteien in Summe erfolgversprechender ist, lassen sich aus der Analyse nur dieser beiden Fälle nicht ziehen. Es zeigt sich aber, dass in Österreich weder die inhaltliche Annäherung an Positionen der FPÖ noch ihre Einbindung in Regierungsverantwortung eine nachhaltige Schwächung bzw. Mäßigung der Partei zur Folge hatte. Umgekehrt konnte aber auch der klare Ausschluss einer systematischen Zusammenarbeit mit der AfD in Deutschland bei zuletzt ebenso schrittweiser Annäherung in der Migrationspolitik deren Aufstieg bisher nicht verhindern.“
Vielleicht ist das sogar logisch: Wer, wie die ÖVP in mehreren Bundesländern oder in der Vergangenheit auch auf Bundesebene, glaubt, die FPÖ einbinden zu müssen, stärkt damit ihre Zugänge. Die Folge: Es wird zum Beispiel „normal“, zu verlangen, dass auf Schulhöfen ausschließlich Deutsch gesprochen werden darf. In Niederösterreich ist das türkis-blauer Konsens. Ja, Migration und alles, was damit einhergeht, wird letzten Endes zum vermeintlich einzigen Problem der Zeit erklärt. Logisch, dass das die FPÖ nur stärken kann.
Umgekehrt ist eine Brandmauer allein zum Scheitern verurteilt, weil es ausklammert, warum eine Partei wie die FPÖ mit einem Obmann, dem rund 70 Prozent der Wähler misstrauen, vor allem auch zu einem so großen Zuspruch kommt: Ohne die Tatsache, dass es seit Generationen nicht mehr so viele Menschen gegeben hat, die befürchten, dass alles den Bach runtergeht und sich die Verhältnisse für sie verschlechtern, wäre das nicht erklärbar. Es muss daher mitgedacht werden.
Hier sind gerade alte Volksparteien wie CDU/CSU und SPD in Deutschland sowie ÖVP und SPÖ in Österreich gefordert. Und hier schaffen es Teile von ihnen sogar, sich ganz gut zu behaupten: Siehe Wien- und Burgenland-Wahlergebnis. Oder Kärnten: Dort wurden der ÖVP mit ihrem farblosen Obmann Martin Gruber in Umfragen vor der Landtagswahl 2023 zehn, elf Prozent ausgewiesen. Geschafft hat sie dann 17 Prozent, was nach wenig klingt, aber viel ist. Auf mehr war sie zuletzt in den 1990er Jahren gekommen.
Grubers Erfolg ist aus der Entfernung schwer zu erklären, einfacher ist es bei Hans Peter Doskozil (Burgenland) und Michael Ludwig (Wien): Sie haben – bei all den Unterschieden zwischen ihnen beiden – glaubwürdig auch Themen besetzt, die sozusagen nicht-freiheitlich sind und vielen Menschen ebenfalls wichtig sind. Insbesondere Pflege und Gesundheit. Sie haben im Übrigen aber nicht vergessen, zum Beispiel das Thema Sicherheit so zu behandeln, dass man ihnen abkauft, was sie sagen.
Das ist etwas, was Parteien der Mitte über Wien und das Burgenland hinaus weiterbringen könnte. Und mehr: Bei der Frage, was man tun kann, um Frauen und Männer zu gewinnen, die einem Herbert Kickl auf den Leim gehen, kommt es eben auch auf díe Antwort an, wie man Perspektiven für sie wiederherstellen könnte.
Die ÖVP etwa tut sich in dieser Hinsicht nichts Gutes, wenn sie wie vor Jahrzehnten bloß von Leistung und Eigentum redet: Für einen Facharbeiter, dessen Betrieb gerade zugesperrt hat oder der nicht weiß, ob er in ein paar Monaten noch einen Job hat, ist das einfach nur frustrierend. Er zweifelt daran, dass sich Leistung lohnt. Natürlich könnte man ihm sagen, dass es eh einen wachsenden Arbeitskräftemangel gibt und er sich nur umschulen lassen müsste. Aber das wird ihm, der etwas gelernt hat, um es auszuüben, und für den das auch identitätsstiftend war, zunächst kein Trost sein.
Ähnliches gilt in Bezug auf Eigentum in einem klassischen Sinne: In urbanen Regionen ist es für einen durchschnittlichen Erwerbstätigen schlicht unmöglich geworden, Eigentum zu bilden, das seinem Traum auch nur nahekommt. Vom Haus mit Garten gar nicht zu reden.
Allein schon mit dem ewiggleichen Gerede von Leistung und Eigentum riskiert die ÖVP, zu einer Kleinpartei zu verkommen. Was nicht heißt, dass sie sich von der Idee verabschieden müsste, dass jeder möglichst viel aus sich herausholen sollte. Im Gegenteil, sie müsste sich dem nur anders widmen: Sie müsste zum Beispiel den Wirtschaftsvertretern folgen, die in einer Gemeinsamen Schule keine Gleichmacherei mehr sehen, sondern eine Chance, individuelle Fähigkeiten stärker zu fördern. Mit dem Ergebnis, dass mehr Menschen zu höherer Bildung und damit besseren Erwerbsaussichten kommen. Was wiederum vielen gerade in einer Welt voller Unsicherheiten Sicherheit geben würde.