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ANALYSE. Das wahre Ziel von Kickl ist es, gesellschaftliche Entwicklungen rückgängig zu machen. Begriffe wie „Gender- und Woke-Wahnsinn“ sollen helfen, die öffentliche Meinung dafür zu gewinnen. Es könnte aufgehen.

Wer wissen will, wie relevante Freiheitliche ticken, was sie antreibt und wohin sie wollen, lese den „Attersee Report“. Das ist das Magazin eines Thinktanks. Herausgeber ist Klubdirektor Norbert Nemeth. Es zählt zu den wichtigsten Mitarbeitern von Herbert Kickl.

Die aktuelle Ausgabe wurde im vergangenen Jahr erstellt, als die Dreiparteien-Koalitionsverhandlungen ohne FPÖ schon bzw. noch liefen. Die Autoren blieben jedoch gelassen. Früher oder später werde man auch auf Bundesebene ans Ruder kommen und die ÖVP erdrücken. Das formulieren sie nicht so, aber so ähnlich: Als Juniorpartner habe die Volkspartei nichts zu gewinnen, denn es bestehe dann die Gefahr für sie, dass sie neben der FPÖ „einfach untergeht und den eigenen Niedergang noch beschleunigt“. Weil man sein Glück seit Kurz ja darin sucht, Blaue zu kopieren.

Das ist jetzt aber nicht der Grund dafür, dass dieser Report hier erwähnt wird. Es geht darum, dass auch deutlich wird, dass es Kickl und Co. nicht einfach nur um Macht geht. Sie wollen damit auch nachhaltige Veränderungen herbeiführen, gesellschaftliche Entwicklungen rückgängig machen und eine linke kulturelle Hegemonie, die sie in diesem in Wirklichkeit noch immer sehr katholisch geprägten Österreich orten, durch eine rechte ersetzen.

Zu den Vorbildern zählen sie den alten und kommenden US-Präsidenten Donald Trump. Eh klar, das sei kein Ideologe. Sein Ziel sei jedoch „schlicht ein gesundes, starkes und normales Amerika“. Dabei habe er es schon weit gebracht: „Die kulturelle Hegemonie der Linken in den USA ist passé, all ihre Starlets, Medienkonzerne, Big-Tech-Firmen, Indoktrinierungssysteme, selbst die gigantisch überlegenen finanziellen Mittel erwiesen sich als wirkungslos.“

Gesund, stark, normal: Was das für die FPÖ bedeutet, kann man in ihrem Programm für die Nationalratswahl 2024 nachlesen. „Weg mit Regenbogenkult, Gender- und Woke-Wahnsinn, Schluss mit der Frühsexualisierung“. Nein zu „Transgender-Propaganda“. Klarstellung in der Verfassung, dass es „nur zwei Geschlechter“ gebe, Mann und Frau, die als Vater und Mutter mit ihren Kindern auch die traditionelle Familie ausmachen würden.

Institutionelle Kinderbetreuung? Nur, wenn’s gar nicht anders geht. Zitat: „Die Betreuung von Kindern in familiärer Geborgenheit wird von uns staatlichen Ersatzmaßnahmen vorgezogen, wohl wissend, dass dies nicht immer möglich und daher die Bereitstellung von Alternativen unumgänglich ist.“

Ob Freiheitliche damit durchkommen werden? Gut möglich. Nicht nur, dass ihnen die ÖVP nützlich ist, wie sie in Niederösterreich unter Führung von Johanna Mikl-Leitner schon zeigt. Kickl und seine Leute steigen auch gezielt mit Geschichten wie dem Binnen-I ein, bei denen sie wissen, dass sie am ehesten auf Zuspruch stoßen. „Ist ja wirklich lästig, dieses Gendern.“

Da führt eines zum anderen und die allgemeine Stimmungslage ist nicht schlecht für derartige Ansätze: Ergebnisse von Eurobarometer-Erhebungen der vergangenen Monate lassen den Schluss zu, dass man damit punkten kann in Österreich. Hier tickt die Gesellschaft alles in allem weniger wie übrige westeuropäische, geschweige dann die skandinavische und nicht ganz so wie eine eher männerdominierte südosteuropäische. Klar: Man muss vorsichtig sein mit solchen Zuschreibungen. Es muss daher näher ausgeführt werden.

Auf die Frage, ob Transgenderpersonen die gleichen Rechte wie alle haben sollen, meinen in Österreich nur 58 Prozent, ja. Zum Vergleich: In Frankreich tun es 70, Deutschland 74 Prozent. In Dänemark und Schweden handelt es sich um rund 90 Prozent. Umgekehrt in Kroatien zum Beispiel um 41 und in Bulgarien gar nur um 21 Prozent.

Oder: Sollen Transgenderpersonen ihre Dokumente ihrer Geschlechtsidentität anpassen können? In Österreich finden das gerade einmal 52 Prozent. 41 Prozent sind dagegen. Weniger dafür und mehr dagegen sind u.a. in Polen, Tschechien, der Slowakei und Rumänien. Siehe Grafik. Mehr dafür (mit bis zu 84 Prozent) und weniger dagegen hingegen in Schweden, Dänemark. Spanien und den Niederlanden etwa.

Screenshot

Ähnlich verhält es sich in Bezug auf Rollenbilder: Im europäischen Vergleich sagen in Österreich überdurchschnittlich viele Menschen zum einen, die wichtigste Rolle einer Frau bestehe darin, sich um ihr Heim und ihre Familie zu kümmern (41 Prozent) und zum anderen, die wichtigste Rolle des Mannes sei es, Geld zu verdienen (46 Prozent).

Das ist etwas, worauf die FPÖ aufbauen kann. Zur Mehrheit auf parlamentarischer Ebene verhilft ihr die Volkspartei.

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