ANALYSE. In Tirol trägt die Volkspartei gesellschaftlichen Entwicklung allenfalls nur durch ihre Partnerwahl Rechnung. In der Steiermark bemüht sie sich selbst darum. Das sieht man jetzt auch bei den Führungswechseln.
Die Tiroler Volkspartei befindet sich in einer veritablen Krise. Genau genommen ist sie für die gesamte Partei noch aussagekräftiger als die türkise Krise auf Bundesebene oder die schwarze in Vorarlberg. In diesen Fällen liegen unmittelbare Anlässe (Chats, Machtmissbrauch, Inserate, …) vor, die allerhand erklären. Aber in Tirol? Natürlich: „Ischgl“. Das liegt aber auch schon wieder etwas länger zurück und ist nur schwer vergleichbar mit den Korruptionsaffären.
Die Gründe, die Günther Platter für seinen Rücktritt nannte, sind nicht entscheidend, aber glaubwürdig bis absurd. Von Morddrohungen (glaubwürdig) bis hin zum Hinweis, dass er es im vergangenen Jahr mit drei Bundeskanzlern zu tun haben musste. Das ist absurd, handelte es sich mit Sebastian Kurz, Alexander Schallenberg und Karl Nehammer doch durchwegs um Parteifreunde. Sprich: Wenn schon, dann hätte Platter sagen müssen, dass es ihm mit dieser Bundes-ÖVP zu viel geworden ist.
Aber diese unfreiwillige Komik wird ihm nicht einmal aufgefallen sein. Zumal er ein Selbstverständnis verrät, dass „ich“, Land und Partei eins sind. Zum Ausdruck kommt dies dadurch, dass er nicht nur seinen Rücktritt verkündet, sondern auch eine um ein halbes Jahr vorgezogene Landtagswahl. Das heißt auch, ein halbes Jahr weniger Regierungsarbeit. Es heißt zudem, dass gewählt werden muss, weil Platter nicht mehr mag. Und weil es seiner Partei vielleicht helfen könnte, einen noch größeren Absturz zu verhindern; nach 44 Prozent bei der letzten Landtagswahl bewegt sie sich schon in Richtung 30 Prozent. Das ist der entscheidende Grund in der ganzen Sache.
Die ÖVP ist in kaum einem Bundesland so alt und eben auch selbstherrlich wie in Tirol. Der designierte Platter-Nachfolger Anton („Toni“) Mattle verkörpert dies. Er ist das Abbild des freundlichen Landsmannes, den man von daher auch in der Tourismuswerbung einsetzen könnte. Die Bauernbündler haben ihre Gaude mit ihm, dem einstigen Landjugend-Funktionär, die Wirtschaftsbündler (und damit vor allem auch die Liftkaiser und Hoteliers) werden mit ihm leben lernen. Bei Landtagswahlen haben sie ihn auch schon unterstützt, kommt er heute doch aus ihren Reihen (wurde aber von Platter auserwählt). Ist das aber relevant für Land und Gesellschaft? Es ist bemerkenswert, dass die Tiroler Volkspartei keinen Spitzenvertreter, keine Spitzenvertreterin hervorbringt, die etwa den pulsierenden Entwicklungen in Innsbruck und weiten Teilen des Inntals darüber hinaus gerecht werden; da ist niemand, der durch Ideen für eine Welt von heute, geschweige denn morgen, bekannt wäre.
Die Volkspartei hat nicht nicht darauf reagiert. Nur nicht selbst: Es gibt die schöne Geschichte, dass ein Berater Günther Platter einst zu einer Koalition mit den Grünen geraten hat, weil er dann, ohne sich selbst ändern zu müssen, moderner wirkt. Das durchzustehen ist jedoch zunehmend schwierig geworden für ihn. Die Partnerin war zwar selten lästig, hatte aber schon auch ihre eigenen Vorstellungen. Zuletzt ging sie aus seiner Sicht mit der Unterstützung für Tempolimits („30/80/100“) zu weit.
Die Steirer sind kein Vergleich dazu. Hermann Schützenhöfer, der scheidende Landeshauptmann, ist eine widersprüchlich wirkende, jedenfalls aber vielschichtige Persönlichkeit. Bei seiner Rücktrittsrede vor eineinhalb Wochen würdigte er die „Fridays For Future“-Bewegung. Von dieser könne man etwas lernen, sagte er. Genauer ausgeführt hat es es nicht, er hat damit aber signalisiert, dass er neuere Strömungen nicht einfach ablehnt, sondern ernst nimmt und vielleicht auch versucht, aufzunehmen, was ihm notwendig erscheint.
Insofern ist es kein Zufall, dass er Christopher Drexler zum Nachfolger gemacht hat, der als liberal gilt. Auch wenn man bei solchen Zuschreibungen vorsichtig sein sollte, könnte Drexler einer Tradition gerecht werden, die der steirischen Volkspartei gerecht wird: Sie ist meist auch urban, auf der Höhe der Zeit oder ihr gar voraus, hat immer wieder streitbare Persönlichkeiten hervorgebracht: Bernd Schilcher, Gerhard Hirschmann und viele andere mehr.
Wie lange diese Tradition ist, sieht man beim Steirischen Herbst. Eines der ältesten Festivals Europas für neue Kunst wurde 1968 von einem ÖVP-Politiker, nämlich Landeshauptmann-Stellvertreter Hanns Koren, gegründet. Von ihm stammt übrigens auch ein schöner Zugang zu Heimat: „Heimat ist Tiefe, nicht Enge.“
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