ANALYSE. Die Volkspartei wäre gut beraten, dem Beispiel der britischen Premierministerin zu folgen. Auch in Österreich bricht die Mittelschicht weg.
Rund um den Amtsantritt der britischen Premierministerin Theresa May sind nur kurz Vergleiche mit der Eisernen Lady strapaziert worden. Schon nach ihrer Antrittsrede war klar, wie sehr sich die 59-Jährige von Margaret Thatcher unterscheidet: Nicht das freie Spiel der Kräfte ist ihr Programm; und nicht einmal das Unternehmertum steht im Mittelpunkt. Die konservative Politikerin will sich vielmehr auf die „brennende Ungerechtigkeit“ konzentrieren, womit sie die existenziellen Probleme wachsender Bevölkerungsgruppen meint. Zu groß sind diese geworden.
Auch der Österreichischen Volkspartei würde ein solches Umdenken gut anstehen: Auf Leistung zu setzen ist schön und gut. Für immer mehr Menschen wirkt es jedoch in einem zunehmenden Maße zynisch: Wer sich selbstständig macht, fühlt sich durch Kammern und Gewerbebestimmungen schikaniert. Wenn er denn überhaupt Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg haben kann. Die Konjunkturaussichten sind düster. Auf absehbare Zeit werden die Wachstumsraten unter der magischen Zwei-Prozent-Marke bleiben. Und das setzt auch den Unselbstständigen, die in den vergangenen Jahren ohnehin schon mit Reallohnverlusten konfrontiert waren, zu: Die Arbeitslosenrate wird laut IHS und WIFO weiter steigen und bald an die zehn Prozent betragen.
Die Stimmung ist laut der jüngsten Eurobarometer-Erhebung in Österreich sogar schlechter als in Großbritannien.
Zehn Prozent: Das kann nicht ohne Folgen bleiben. Wer nicht selbst davon betroffen ist, kennt zumindest jemanden, der keinen Job hat. Und das bedeutet, dass er beginnt, selbst unsicher zu werden. Das ist wie ein Geschwür, das sich in der Gesellschaft ausbreitet.
Die Stimmung ist laut der jüngsten Eurobarometer-Erhebung in Österreich sogar schlechter als in Großbritannien: In keinem anderen europäischen Land ist die Bevölkerung in Bezug auf die wirtschaftliche Lage demnach so skeptisch wie in der Alpenrepublik. Das ist ein Alarmsignal.
Die ÖVP kann darauf reagieren, indem sie mehr als die ewiggleichen Stehsätze liefert und überlegt, wie Leistung und Zuversicht überhaupt erst wieder möglich werden. Oder sie kann weiter so tun, als wäre jeder Arbeitslose und Mindestsicherungsbezieher ein Sozialschmarotzer; dann jedoch läuft sie Gefahr, zu einer Kleinpartei für all jene zu verkommen, denen die wirtschaftlichen Entwicklungen nichts anhaben können.