GASTKOMMENTAR AUF VIENNA.AT. Warum SPÖ und ÖVP gute Gründe haben, den Flüchtlingskoordinator als gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen.
Auch in der Politik kommt es erstens anders, als man zweitens denkt. Wer, beispielsweise, hatte vor wenigen Wochen Christian Konrad und Ursula Stenzel auf der Liste möglicher Kandidaten bei der Bundespräsidenten-Wahl im kommenden Frühjahr? Mit Sicherheit niemand, denn Konrad war damals ausschließlich pensionierter Ex-Raiffeisen-General und Stenzel scheidende ÖVP-Vorsteherin im Ersten Wiener Gemeindebezirk. Damit hätte man sie für alles mögliche, ganz sicher aber nicht für einen so entscheidenden Urnengang einsetzen können. Doch die Zeiten haben sich geändert, Stenzel gilt mittlerweile als bürgerliche Vorzeigefrau des freiheitlichen Lagers und Konrad ist Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung. Damit spricht sehr viel dafür, dass sie ins Rennen ums höchste Amt im Staat geschickt werden.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache könnte mit Stenzel eine Frau und vor allem eine, die nicht nur seine Hardcore-Anhängerschaft anspricht, nominieren. 20, 30 Prozent sind damit allemal drinnen. Und das wäre zumindest ein Achtungserfolg. Viel mehr könnte sich Strache in keinem Fall erwarten.
Christian Konrad wiederum wäre schier unschlagbar und würde damit sowohl SPÖ-Chef Werner Faymann als auch ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner einen guten Dienst erweisen. Doch eines nach dem anderen. Als Flüchtlingskoordinator wird der 72-Jährige offiziell erst am 1. Oktober loslegen. Aktiv ist er aber jetzt schon. Wobei er allen vor Augen führt, dass das „Flüchtlingsproblem“ lösbar ist: Während Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) seit Mai mit vergleichsweise wenigen Syrern und Afghanen nicht mehr wusste, was anzufangen und daher Zelte aufstellen ließ, bringt er eine wesentlich größere Zahl mit Leichtigkeit unter, um dann auch noch festzustellen, dass „das Boot noch lange nicht voll“ sei.
Dieser Mann ist also dabei, der Bundesregierung aus ihrer größten Krise zu helfen. Allein schon dafür müsste sie ihm dankbar sein. Doch Dankbarkeit ist bekanntlich keine politische Kategorie. SPÖ und ÖVP müssten Konrad vielmehr aus purem Eigennutz zum Präsidentschaftskandidaten küren. Gründe dafür gibt es viele. Fangen wir beim Geld an: Konrad könnte die Finanzierung des Wahlkampfes locker selbst aufstellen. Gewählt werden würde er wohl schon im ersten Durchgang, weil er sich als Flüchtlingskoordinator gerade über alle Parteigrenzen hinweg Ansehen erwirbt.
Faymann müsste damit nicht länger einen eigenen Kandidaten suchen, der ohnehin kaum Chancen hätte und mit einer Niederlage auch ihn selbst beschädigen würde. Mitterlehner wiederum würde ein Erwin Pröll erspart bleiben, der ihm als machtbewusster wie cholerischer Bundespräsident das Leben schwer macht.