ANALYSE. Nicht nur über einen allfälligen Nationalratspräsidenten hat die Partei von Herbert Kickl geradezu bestimmenden Einfluss auf die österreichische Politik. Selbst wenn sie in Opposition bleiben sollte.
Allein die Tatsache, dass die ÖVP eine Zusammenarbeit mit Herbert Kickl weiter ausschließt, bedeutet nicht, dass Blau-Türkis nicht kommt. Im Moment wird gepokert, getarnt und getäuscht. Und Türkis-Rot ist schon gar keine ausgemachte Sache. Karl Nehammer trennt mehr von Andreas Babler als ihn mit Kickl eint. Peter Filzmaier schätzt die inhaltlichen Übereinstimmungen auf 80 Prozent.
Abgesehen davon wäre es naiv, zu glauben, die FPÖ habe zwar rund 29 Prozent erreicht und sei stärkste Partei, das habe jedoch keine Auswirkungen; zumindest dann, wenn sie in Opposition bleibe. Der Punkt ist: Freiheitliche sind immer wieder und seit geraumer Zeit ganz besonders bestimmend in der österreichischen Politik.
Seit der Flüchtlingskrise und lediglich unterbrochen durch das, was mit der Ibiza-Affäre einherging, haben sie entscheidenden Einfluss auf die Asyl- und Migrationspolitik. Zuletzt ist im Übrigen die Klimapolitik dazugekommen. Dass die ÖVP 2017 auf Sebastian Kurz setzte, ist genauso eine Antwort darauf wie Slogans à la „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“. Oder das Veto gegen eine Schengen-Erweiterung. Oder in Bezug auf Klima, dass Karl Nehammer vor eineinhalb Jahren angefangen hat, Österreich als „Autoland“ zu bezeichnen und sich gegen Klimaaktivsten zu stellen. Oder dass er sich zuletzt überhaupt so weit wie möglich von den Grünen absetzte. All das dient dazu, Freiheitlichen Wind aus den Segeln zu nehmen und vielleicht ebenfalls Wähler zu gewinnen, die darauf ansprechen.
Es geht weiter: Impfen ist ein Tabuthema, weil die Angst vorherrscht, dass Kickl damit nur gewinnen könne. Auch in der Medienpolitik gibt es keine Grenze: Wenige Tage vor der Nationalratswahl hat Karl Nehammer in einem „Heute“-Interview Bereitschaft signalisiert, die ORF-Haushaltsabgabe zu streichen; das ist eine klassische Forderung, mit der Kickl mobilisiert.
Dass sich ÖVP-Europaministerin Karoline Edtstadler schon einmal gegen ein angebliches „Diktat aus Brüssel“ stellt, ist FPÖ-Sprech. Dass weniger denn je über Sicherheit, Verteidigung und Neutralität gesprochen wird, obwohl es notwendiger denn je wäre, ist auf die Sorge zurückzuführen, dass Freiheitliche damit nur gewinnen können. Umgekehrt bleibt Unpopuläres tabu, das der Volkspartei einst wichtig war. Pensionsreformen zum Beispiel.
Selbst wenn die FPÖ in Opposition bleibt, hat sie Chancen, den nächsten Nationalratspräsidenten, die nächste Nationalratspräsidentin zu stellen. Es ist kein Gesetz, dass das der stärksten Partei zusteht. Es muss nicht sein. Zumindest die ÖVP wird sich jedoch hüten, ihr das zu verwehren. Die Entscheidung muss noch im Oktober fallen. Sagt die ÖVP nein, heißt das auch schon, dass sie sich eher nicht auf Blau-Türkis einlassen wird. Damit würde sie sich einer Option berauben und ihre Position gegenüber der SPÖ schwächen. Nach schlichten Logiken der Macht wäre das dumm. Also wird sie es wohl unterlassen.
Der Nationalratspräsident hat weitreichende Möglichkeiten: Wie hier schon einmal ausgeführt, kann er Sitzungen de facto unterbrechen, wann oder wenn es ihm gefällt und solange er möchte. Das ist ein Extrembeispiel. Sonstiges reicht jedoch: Das Hohe Haus ist eine Bühne, in der öffentlicher Diskus zu wesentlichen Fragen gepflegt oder beschädigt werden kann. Der Präsident ist Hausherr, er muss sich da mit niemandem absprechen, er kann, sagen wir, im Plenarsaal eine Enquete zum Thema „Remigration“ abhalten. Er kann die Arbeit von Medien erschweren (vgl. Text „Picture Control“), ja er kann Hausverbote erteilen oder eben Zutritte gewähren. Er ist der Chef, seinen Anordnungen ist laut Hausordnung „unverzüglich“ Folge zu leisten. Punkt.
Das Problem bei alledem: Der Nationalratspräsident ist nicht abwählbar.