ANALYSE. Wie beim Staatsoberhaupt werden die Möglichkeiten unterschätzt. Zum Beispiel: Sitzungsunterbrechung auf „unbestimmte Zeit“.
Das politische Signal, das mit der Kür von Elisabeth Köstinger zur Nationalratspräsidentin einhergeht, ist das eine. Die strategische Bedeutung aus ÖVP-Sicht das andere: Stefan Kappacher erläutert in seinem Blog, dass für den Fall, dass das Hohe Haus „die ganze große Schaubühne“ wird, die Funktion damit mit der für Sebastian Kurz richtigen Person besetzt ist; bisher hat sich dieser ja blind auf sie verlassen können.
Wobei man jetzt natürlich einräumen muss, dass nicht absehbar ist, wie Köstinger ihren Job anlegen wird: Orientiert sie sich an Barbara Prammer und sieht sich eher dem Parlamentarismus verpflichtet; oder nimmt sie sich Doris Bures zum Vorbild, die zu dessen Kanzlerzeiten quasi für Werner Faymann gearbeitet hat.
Köstinger will ihre Aufgabe jedenfalls verantwortungsbewusst wahrnehmen. Und das ist gut so: Beim Nationalratspräsidenten ist es aufgrund der bisherigen Praxis nämlich ein bisschen wie beim Bundespräsidenten. Die beiden höchsten Amtsträger der Republik werden wirklich nur protokollarisch als solche gesehen. Und das führt dazu, dass ihre Möglichkeiten bei weitem unterschätzt werden.
Wobei man jetzt wieder eine Anmerkung einfügen muss: Schon die theoretischen Möglichkeiten können einem praktisch sehr viel Macht verleihen. Zumindest die Mitbewerber wissen ja schließlich, was im Fall des Falles ginge.
… und beim Nationalratspräsidentin ist es eben nicht nur die Abhaltung eines Tages der Offenen Tür.
Und beim Nationalratspräsidentin ist es eben nicht nur die Abhaltung eines Tages der Offenen Tür; oder das Begrüßen von ausländischen Gästen; oder das Führen von Sitzungen und das Aussprechen mahnender Worte. Er hat darüber hinaus ganz alleine, also ohne den Zweiten und den Dritten Präsidenten, geschweige denn die übrigen Abgeordneten, weitere Rechte und Pflichten, die in der Geschäftsordnung festgelegt sind. Ein paar Beispiele: Er erstellt die Arbeitspläne für die Sitzungen des Nationalrats und weist Vorlagen an die Ausschüsse zu. Er erlässt die Hausordnung des Hohen Hauses und legt damit zum Beispiel fest, wer wohin darf und wer nicht, welche Bereiche für die Medienöffentlichkeit zugänglich sind und welche nicht etc.
Der Präsident kann dafür sorgen, dass alle Schriftstücke, die beim Nationalrat einlangen, über seinen Schreibtisch gehen. Er ernennt die Bediensteten der Parlamentsdirektion und hat „alle übrigen Befugnisse in Personalangelegenheiten dieser Bediensteten“.
Und dann gibt es da in den Bestimmungen noch einen Satz zu den Nationalratssitzungen, den man beinahe überlesen könnte; so gut versteckt ist er: Der Präsident ist demnach „jederzeit, insbesondere im Falle einer Störung, berechtigt, die Sitzung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zu unterbrechen“. Insbesondere im Falle einer Störung heißt nicht, dass er das nach eigenem Gutdünken nicht auch in anderen Fällen tun kann. Es liegt in seinem Ermessen. Genauso eben wie die Entscheidung, wie lange die Unterbrechung dauern soll.
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