Zu wenig Markt für die „Wiener Zeitung“

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ANALYSE. Für den Fortbestand von möglichst viel Qualitätsjournalismus ist ein Umdenken nötig. Auch bei den Grünen.

Der Staat sollte sich von der „Wiener Zeitung“ trennen und sie einem Verlag oder einer Gruppe übertragen, die erstens etwas versteht vom Geschäft; und mit der zweitens auch Medienvielfalt gewährleistet wäre, stand vor wenigen Tagen auf dieSubstanz.at. Das hat zum Einwand geführt, dass es schwer bis unmöglich sei, die Zeitung wirtschaftlich im Sinne von kostendeckend zu führen. dieSubstanz.at teilt diese Überzeugung, erkennt jedoch keinen Widerspruch darin.

Die „Wiener Zeitung“ hat eine sehr kleine Auflage, bestehen kann sie nur, weil sie neben dem redaktionellen Inhalt auch sogenannte, anachronistische Pflichtveröffentlichungen bringen „darf“. Noch. Laut Regierungsprogramm sollen sie fallen. „Wenn wir nächste Woche jemanden haben, der sagt, er zahlt uns fünfzehn Millionen Euro jedes Jahr für die Wiener Zeitung, dann können wir die Pflichtveröffentlichungen sofort abschaffen“, sagt die Mediensprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, laut Ö1-Mediensendung Doublecheck. Wie der Geschäftsführer der Zeitung, Martin Fleischhacker, kommuniziert habe, werden diese Veröffentlichungen in jedem Fall abgeschafft; in einem Mail an die Belegeschaft habe er bereits mitgeteilt, es sei davon auszugehen, „dass die finanziellen Rahmenbedingungen die Fortführung einer Tageszeitung in der heutigen Form nicht mehr möglich machen.“

Die Tage der 1703 gegründeten Wiener Zeitung scheinen damit gezählt. 15 Millionen Euro wird kaum ein unternehmerisch denkender Mensch auf den Tisch legen. Qualitätsjournalismus ist teuer (hohe Personalkosten), viel zu verdienen ist nicht damit; ganz besonders auf einem kleinen Markt neben der „Presse“ und dem „Standard“, die ebenfalls zum klassischen Qualitätssegment auf Bundesebene gezählt werden.

Andererseits aber sollte es auch in einem kleinen Land und bei einer Politik, die mehr und mehr auf Inszenierung setzt, eine möglichst starke und ebenso vielfältige Medienszene geben, die dagegenhält. In diesem Sinne ist ein Paradigmenwechsel überfällig. Vorbildhaftes Beispiel: Theater.

Müssten sich Theater allein auf dem Markt behaupten, müssten praktisch alle zusperren. Sie profitieren davon, dass sie als unverzichtbare, notwendige Bestandteile des gesellschaftlichen Lebens gelten und daher auch entsprechend gefördert werden; im Übrigen aber müssen sie trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – so wirtschaftlich wie möglich geführt werden. Das ist kein Widerspruch. Anders als bei der ÖBAG etwa kann hier kein Vorstand hunderttausende Euro im Jahr verdienen.

So ähnlich sollte das auch mit Journalismus sein, der wesentlicher Bestandteil der Demokratie ist. Wie berichtet schätzt der Medienexperte Peter Plaikner offizielle und verdeckte Medienförderung in Österreich auf mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr. Selbst wenn man den ORF-Gebührenteil (640 Millionen Euro) weglässt und allein die 222 Millionen Euro für Inserate hernimmt, wäre damit sehr viel Sinnvolles möglich. Zum Beispiel, in Form von Förderungen einen größeren Teil der Personalkosten angestellter Redakteurinnen und Redakteure sowie diverser Fixkosten zu übernehmen.

Das wäre nicht nur demokratie-, sondern auch wirtschaftsfreundlich: Inseratengelder fließen zu einem erheblichen Teil in den Boulevard. Sie verschaffen diesem einen zweifelhaften Wettbewerbsvorteil. Er gehört so oder so infrage gestellt. Umgekehrt müsste auch stärker geförderter Qualitätsjournalismus danach trachten, Geld zu verdienen bzw. so viel Wert zu erzeugen, damit genügend Menschen bereit sind, dafür zu bezahlen.

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