ANALYSE. Die Impfpflicht hat nicht nur nichts gebracht: Vor lauter Krisen ist es unmöglich, zu korrigieren, was damit angerichtet worden ist.
ÖVP und Grüne mögen es zurückweisen. Die Entscheidung, die Impfpflicht abzuschaffen, steht aber natürlich in einem Zusammenhang mit den Landtagswahlen, die von Ende September bis Anfang 2023 in Tirol, Niederösterreich, Salzburg und Kärnten stattfinden werden: Sie wäre hier ein Thema gewesen, hätte doch alle paar Monate darüber befunden werden müssen, ob weiterhin nicht ernst gemacht wird oder doch. Und der Druck, letzteres zu tun, wäre gerade bei größeren Infektionswellen in den kälteren Jahreszeiten enorm geworden, was einerseits unpopulär und andererseits sehr zur Freude von FPÖ und MFG gewesen wäre.
„Mit der Impfpflicht haben wir keine zusätzlichen Menschen zum Impfen gebracht“, erklärte ÖVP-Klubobmann August Wöginger vergangene Woche, als er das Ende der „Impfpflicht“ verkündete. Es ist viel schlimmer: Darum bemüht haben „wir“ uns auch nicht. Und überhaupt: Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ist der Wahrheit in einem TT-Interview nähergekommen, in dem er bestätigte, dass durch die Pflicht Impfen an sich diskreditiert worden sei. Hier ist also auch ein Langzeitproblem im Hinblick auf andere Erkrankungsrisiken geschaffen worden. „Das ist ein enormer Schaden“, so Rauch.
In Bezug auf die Coronapandemie ist die Sache bereits verhängnisvoll: Es ist ein verschärftes Glaubwürdigkeitsproblem der Politik entstanden. Haltungen in der Bevölkerung sind verhärtet worden. Bei Ungeimpften genießt die Regierung so gut wie kein Vertrauen mehr. Laut Uni-Wien-Corona-Panel erreicht sie in dieser Gruppe auf einer Skala von null, wie kein Vertrauen, bis zehn, wie großes Vertrauen, einen Wert von 1,2.
Zwischenbilanz: In Österreich gibt es im westeuropäischen Vergleich nach der Impfpflicht, mit der nie ernstgemacht wurde, relativ wenige Geimpfte und relativ viele Ungeimpfte (siehe Grafik). Und wenn nun einer wie Wöginger der Meinung wäre, dass das schlecht ist, würde er umgehend eine neue Impfkampagne verlangen. Und zwar heute, ist es doch ohnehin schon fünf nach zwölf: Bis ein ausreichender Impfschutz erreicht ist, vergehen rund sechs Monate; dann ist es Winter, sind größere Infektionswellen bereits durchs Land gezogen.
Einer wie Wöginger wird sich jedoch hüten: Es hat schon auch einen Grund, dass nicht einmal mit den parallel zum Impfpflicht-Beschluss angekündigten Motivationskampagnen ernst gemacht worden ist. Weder eine Lotterie noch Bemühungen um möglichst viele persönliche Gespräche hat es gegeben. Das Thema war und ist schlicht zu unangenehm. Es wurde wie eine heiße Kartoffel in Koalitionskreisen weitergerecht, bis sie halt beim Gesundheitsminister hängen geblieben ist, der allein überfordert ist; es will sonst niemand mehr etwas damit zu tun haben.
Wobei es hier mittlerweile ja auch etwas Nachvollziehbares gibt: Es existieren neue Krisen, vom Krieg in der Ukraine über die Unsicherheiten für ganze Europa bis hin zum drohenden Gasmangel. Da kann man parallel dazu schwer wettmachen, was durch die Impfpflicht angerichtet worden ist; da sind die Schäden zu groß – rächt sich sehr vieles.
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