Platters Zumutungen

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ANALYSE. Tirol und die Coronakrise als Erfolgsgeschichte zu bezeichnen, zeugt von Realitätsverweigerung, vor allem aber politischer Verantwortungslosigkeit. Es ist eine Bürde für die Zukunft des Landes.

Zwei Sätze sagt der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter immer wieder zu seiner Verteidigung, wenn es um die Coronakrise geht: Zum einen handle es sich um ein Virus, das es weltweit gebe; nicht nur in seinem Land. Zum anderen sei es „recht einfach, ein Buch von hinten zu lesen“. Soll heißen: Rückblickend weiß man immer mehr und würde daher vieles besser machen. Beides ist nicht ganz falsch und soll daher der Ablenkung dienen.

In der ORF-Pressestunde ist Günther Platter wieder mit diesen beiden Hinweisen gekommen, hat jedoch hinzugefügt, dass es kaum noch Erkrankte gebe: „Da sieht man wie hier gearbeitet wurde“, so der 66-Jährige: „Das ist eine Erfolgsgeschichte, die ich mir nicht schlechtreden lasse.“

Um in anderen Worten zu verdeutlichen, worum es hier geht: Tirol stand unter Vollbrand. Nach drei Monaten ist das Feuer gelöscht, die Schäden sind jedoch unermesslich. Der Kommandant aber stellt sich hin und ist stolz auf das Ergebnis. Zugegeben: Das Beispiel ist schlecht. Platter ist nämlich nicht nur Feuerwehrchef, sondern quasi auch Ortsvorsteher. Er ist nicht nur für Brandbekämpfung zuständig, sondern für eine gute Gesamtentwicklung.

Und die ist eine Katastrophe, um zu COVID-19 und Tirol zurückzukehren. Tirol hält bei 467 bestätigten Infektionen pro 100.000 Einwohner. Das ist drei Mal mehr als alle übrigen Bundesländer zusammen erreichen (163). Sprich: Ohne Tirol wäre die ganze Sache viel glimpflicher abgegangen.

Was korrekt ist: Tirol hat das Virus (quasi) in den Griff bekommen. Das ist schön, aber halt nur eine Seite. Darüber hinaus mussten Land und Leute einen großen Preis bezahlen: Mitte März wurden alle 279 Gemeinden unter Quarantäne gestellt. Österreicher (!), die keinen Wohnsitz im Land hatten, mussten es verlassen. Einheimische durften wirklich nur noch Luft schnappen vor die Tür. Ortswechsel waren de facto verboten (bzw. nur aus triftigen Gründen erlaubt).

Sprich: Mit solchen Maßnahmen muss man virologisch gesehen erfolgreich sein. Die Kollateralschäden sind jedoch unermesslich. Wirtschaftlich lässt sich das aufgrund der Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Land erahnen; auch wenn sie naturgemäß vor allem durch die Stilllegung des Tourismus geprägt ist.

Österreichweit ist die Arbeitslosenquote seit Februar um die Hälfte auf 12,7 Prozent (im April) gestiegen. In Tirol hat sie sich im Vergleichszeitraum auf 12,8 Prozent verdreifacht. Und im Bezirk Landeck (mit Ischgl) hat sie mit 24 Prozent gar ein Niveau erreicht, dass man ansonsten eher nur von einschlägigen Krisenländern kennt.

Soll heißen: Tirol hat jetzt ein dreifaches Problem: Es hat wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich viel zerstören müssen, um COVID-19 zumindest fürs Erste zu besiegen. Schlimmer: Behördenversagen hat möglicherweise dazu beigetragen, dass sich das Virus zunächst so stark ausbreiten konnte. Zweitens: Mit dem Tourismus liegt nun seine wichtigste Branche am Boden. Und drittens: Dem Land fehlt eine Politik, die das offen ausspricht, um damit zugleich auch ein Kapitel schließen und ein neues öffnen zu können, das der Zukunft gewidmet ist.

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