ANALYSE. Der öffentlich-rechtliche ORF berichtet von „Lockdown“-Überlegungen – und provoziert damit auch schon neues Unheil.
Gerüchte gibt es seit Tagen: Österreich stehe vor einem neuerlichen Lockdown. Wobei dies bemerkenswert ist: Die Aussagen von Regierungsvertretern gehen in beunruhigender Art und Weise auseinander. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) weist die Berichte zurück: „Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen“, sagte er am Wochenende in der ORF-Sendung „Hohes Haus“. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) hatte zuvor gegenüber der „Kleinen Zeitung“ nichts ausgeschlossen: „Ich habe keine Glaskugel. Israel hätte sich auch nicht gedacht, dass es dazu kommen wird.“ Das mag ehrlich sein. Aber: Es ist verhängnisvoll.
Erstens: Einmal mehr wird hier deutlich, dass ÖVP und Grüne keine gemeinsame Strategie mehr haben. Wie sollen die gewaltigen Herausforderungen unter diesen Umständen bewältigt werden? Ein Rätsel. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verkündet eine zweite Welle, Anschober will nichts davon wissen und die Sprecherin der Ampelkommission, Daniela Schmid, sieht in dem Wording pure Angstmache.
Zweitens: Ein Lockdown wird hier indirekt zu einer Option erklärt. Verstärkt noch ausgerechnet durch die Nachrichtensendung ZIB 1 des öffentlich-rechtlichen ORF: Samstagabend wurden hier gleich zwei angeblich konkrete Szenarien präsentiert. Entweder werden weitreichende Beschränkungen demnach am 2. November kommen; oder zwei Wochen später.
Was nach einem Einschub schreit, der zunächst nebensächlich klingt: Wie kann man bei der Unberechenbarkeit dieser Pandemie heute sagen, was zu einem bestimmten Termin notwendig sein wird? Diese Anmaßung ist geradezu lächerlich: Anschober hat Anfang Oktober gemeint, dass sich das Infektionsgeschehen stabilisiere und es in den nächsten ein, zwei Monaten darum gehe, die Zahlen zu halbieren. Schon kurz darauf wusste er wieder einmal, dass alles ganz anders kommt; die Zahlen sind unmittelbar darauf wieder stark gestiegen.
Die Ankündigung eines Lockdowns an einem bestimmten Tag in einiger Zeit macht so gesehen das Krisenmanagement der Regierung unglaubwürdig. Als hätte die Glaubwürdigkeit nicht schon genug gelitten: Nur noch jeder zweite Österreicher findet die Maßnahmen laut einer Gallup-Erhebung angemessen. Ende März haben dies noch über 90 Prozent getan.
Bemerkenswert ist nun, dass sich der ORF darauf einlässt, einen möglichen Lockdown in Aussicht zu stellen. Bei zwar stark steigenden Infektionszahlen, aber einer Bettenauslastung von fünf Prozent in den Spitälern; sowie unter Rahmenbedingungen, unter denen noch lange nicht alle Maßnahmen ausgeschöpft sind, die sowohl einen halbwegs normalen Alltag als auch eine Coronabekämpfung zulassen würden.
Damit wird ein Super-GAU provoziert: Schon im September hat die Nationalbank festgestellt, dass gestiegene Infektionszahlen den konjunkturellen Aufholprozess verlangsamen. Sprich: Sie führen dazu, dass sich die Krise summa summarum weiter verschärft, dass die Leute wieder zurückhaltender konsumieren, Unternehmen weniger Umsatz machen und die Arbeitslosigkeit außerordentlich hoch bleibt.
Allein das Wort „Lockdown“ ist da brandgefährlich: Es auszusprechen, heißt, dass es keine Hoffnung auf eine Alternative mehr gibt; und es bedeutet vor allem auch, dass es einerseits mit den Hamsterkäufen wieder losgehen könnte und andererseits größere und kleinere Investitionen, die nicht wirklich nötig sind, sicherheitshalber zurückgestellt werden – von Herr und Frau Österreicher ebenso wie von Betrieben. Sprich: Auch ohne Lockdown drohen damit alle unheilvollen Konsequenzen Wirklichkeit zu werden, die abseits des Infektionsgeschehens verbunden sind mit ihm.
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