Ausdruck allgemeiner Geringschätzung

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ANALYSE. dieSubstanz.at transportiert Corona-Fallzahlen ab sofort nur noch, um Auffälligkeiten zu diskutieren. Die Qualität der offiziellen Statistiken ist eine Zumutung.

„Ich wünsche mir einer Regierung, die uns wie mündige Bürger behandelt“, erklärte der Public-Health-Experte Martin Sprenger diese Woche in einem Interview mit den Vorarlberger Nachrichten, um das noch dazu mehrmals zu bekräftigten. Eine Ausdruck offenkundiger Geringschätzung der Öffentlichkeit sind die offiziellen Statistiken zur Pandemie. Ihre Qualität zeugt von einer gewissen Geringschätzung gegenüber den Bürgern,

Wobei zumindest ebenso schlimm ist, dass man sich fragen muss, wie auf dieser Grundlage überhaupt ein halbwegs vernünftiges Krisenmanagement möglich sein soll: Wenn Wien etwa die Zahl der Genesenen vom 15. auf den 16. April auf 1074 verdoppelt hat, dann ist das zwar schön für die Betroffenen, bringt aber auch mit sich, dass alle Schlussfolgerungen bis dahin von falschen Fakten ausgegangen sind. Ähnlich ist das bei den Testungen: Österreichweit sind in den vergangenen Monaten an zwei Tag plötzlich 36.000 und 50.000 neue Tests ausgewiesen worden. Oder am 7. September, da hat wiederum Wien aufgrund einer „historischen Bereinigung“ für den Zeitraum „Ende März bis Anfang September“ die Zahl der Corona-Todesfälle um zehn erhöht. Das ist nicht viel. Aber: Es bleibt unklar, ob sich diese Fälle auf das halbe Jahr verteilen oder ob sie sich in sehr kurzer Zeit ereignet haben. Das macht bei insgesamt relativ niedrigen Zahlen einen Unterschied für Aussagen über Verlauf und Schwere der Pandemie.

In Ländern wie Schweden, wo man einiges falsch gemacht hat, ist man zumindest diesbezüglich präziser: Hier werden Fälle – und zwar auch nachträglich – den Tagen zugeordnet, an denen sie sich ereignet haben. Was so weit geht, dass es in der offiziellen Statistik der schwedischen Gesundheitsbehörde Folkhalsomyndigheten zu exakt vier von bisher insgesamt 5838 Todesfällen ausdrücklich heißt, dass keine weiteren Daten dazu verfügbar seien – und sie daher keinem Daten zugeordnet werden können.

Nachdem in Österreich zuletzt mehr als 500 bestätigte Infektionen an einem Tag ausgewiesen worden sind, hieß es dagegen salopp, ein guter Teil sei auf „Nachmeldungen“ zurückzuführen. Weder das Gesundheitsministerium noch die dafür offenbar verantwortliche Stadt Wien konnten jedoch sagen, wie viele das waren. Nicht einmal das war möglich.

Doch es geht noch weiter: Der Wiener Arzt Alexander Wenisch, der schon hunderte Corona-Patienten behandelt hat, würde sich mehr Transparenz wünschen. Man könnte auch sagen: Der Respekt, den Martin Sprenger fordert, würde das gebieten. Laut Wenisch sollte etwa bekannt sein, wer der „Ampel-Kommission“ angehört. Auf einer Pressekonferenz wurde zwar eine Namensliste verteilt, auf der Website der Kommission sind die Experten jedoch nicht angeführt. Sprich: Für die breitere Öffentlichkeit bleibt das eine ominöse Runde. Bzw. Amtsgeheimnis. „Experten“ soll offenbar vertrauenserweckend genug sein.

Genug? Nein: Die Kommission führt in ihrem ersten Wochenbericht zwar aus, warum sie welchen Bezirk grün oder gelb einstuft. Und sie lässt auch wissen, dass ein Kriterium (von vielen) die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen ist („Inzidenz“). Ganz und gar unwissenschaftlich führt sie dazu jedoch keine Quelle an, die die Angaben nachvollziehbar machen würde.

Ergebnis: Man kann sich nur wundern, wie die Kommission für den Bezirk Innsbruck Stadt am 4. September feststellen könnte, dass diese Zahl von 43 auf rund 33 gesunken sei.

Das Dashboard des Gesundheitsministeriums wies für diesen Bezirk am Freitag, den 28. August, um 15 Uhr 612 bestätigte Infektionen aus und am Freitag darauf um 15 Uhr 703. Um 91 mehr also. Das ergibt im 132.000 Einwohner-Bezirk Innsbruck Stadt eine Inzidenz von 69. Und das war kein Ausreißer, sondern in den Tagen davor so und auch seither. Am vergangenen Dienstag belief sich der 7-Tage-Zuwachs pro 100.000 Einwohner auf 64.

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