BERICHT. Der Sozialforscher Bernd Marin bezeichnet die Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols als „Entzivilisierung“.
Die Bundesregierung ist dem „Aufruf zur Besonnenheit“ einer österreichischen Waffenlobby nicht gefolgt und hat Änderungen beim Waffenrecht verkündet; zwar keine weitgehenden, aber selbst diese dürften der Lobby zu weit gehen. Sie ist der Überzeugung, dass es „sehr unwahrscheinlich ist, daß (sic!) sich dieser Täter (von Graz; Anm.) von seinem wohlgeplanten und überlegten Vorhaben abhalten hätte lassen, wenn er keinen Zugang zu legalen Schußwaffen gehabt hätte“, wie sie in ihrem „Aufruf“ behauptet.
In Wirklichkeit würde es gute Gründe für ein weitgehendes Waffenverbot geben. Die „Entwaffnung der Bürger“ sei die einzig zeitgemäße und zivilisierte Alternative zur „allgemeinen Volksbewaffnung“ der bürgerlichen Revolutionäre von 1848, „die das Jahrhunderte alte Privileg des Adels – allein private Schusswaffen besitzen und führen zu dürfen – brechen sollte, aber damit inzwischen völlig aus der Zeit gefallen scheint“, schreibt der Sozialwissenschaftler Bernd Marin in seinem Buch „LebensZeiten“ (Sonderzahl-Verlag).
So wie der Aufstieg der Nationalstaaten mit der Entstehung der staatlichen Gewaltmonopols verbunden gewesen sei, „so ist als einer der beunruhigendsten Aspekte des Niedergangs und Verfalls der Bedeutung von Nationalstaaten der Zerfall des Gewaltmonopols zu beobachten. Während es in der Zwischenkriegszeit mit Bürgerkrieg und Faschismus zu einer Politisierung des Gewaltpotentials (etwa durch Privatarmeen) kam, ist in der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart seine Privatisierung zu beobachten.“
Sie reiche von persönlicher Bewaffnung über kommerzielle Sicherheitsdienste im Westen bis zu Bürgerwehren, Bürgerkriegsarmeen, Mafia-Clans, Todesschwadronen und terroristischen, marodierenden Banden – „je nachdem ob es sich um Italien oder Albanien, Irland oder Kosovo, Baskenland oder Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Österreich oder Lateinamerika und die USA handelt“. Gegen diese private Bewaffnung müsse dann wieder zwecks „Selbstverteidigung“ weiter aufgerüstet werden, um die Gewaltspirale in Gang zu halten.
Auf diesem Blog hieß es jüngst, die FPÖ unterwandere mit ihrem Kampf für die Beibehaltung des bestehenden Waffenrechts das staatliche Gewaltmonopol. Marin bezeichnet die schleichende Aushöhlung das staatlichen Gewaltmonopols als „Entzivilisierung“. Sie finde auch dann statt, „wenn – wie derzeit in Österreich – Private ein Vielfaches an legalen Waffen horten als Polizei und Militär zusammen“.
Dass sich die erwähnte Waffenlobby vor vielen Jahren einmal über die Frage empört habe, wer eine Waffe brauche, weil in einer Demokratie jeder selbst über sein Bedürfnis entscheiden dürfe, bezeichnete der Sozialforscher als Ausdruck einer „krausen ultraliberalen Freiheitslogik“, die er mit Gegenfragen beantwortete: „Wozu braucht man(n) Kinderprostituierte und Kinderpornos? Wozu Kokain, Crack oder Heroin? Wozu Handgranaten? Kriegsmunition? Schalldämpferwaffen? Maschinenpistolen? Stock- und Sturmgewehre? Schlagringe? Totschläger? Ist das alles zu Unrecht verboten? Oder sind alle Kindermissbrauchs- und Waffenverbote tendenziell „totalitär“? Wessen „Freiheit gefährdend“? Wer der Waffenlibertins ist konsequent anarchistisch-libertär, ohne Wenn und Aber für laissez-faire, laissez-aller? Bereit, was genau alles hinzunehmen?“