ANALYSE. Wie schon bei den Noten zeigen Blaue und Türkise jetzt auch durch ihre Neigung, die Strafmündigkeit auf Kinder ab zehn auszuweiten, wie sie ticken.
Man kommt immer wieder auf die Kategorisierungen zurück, die vom amerikanischen Linguisten George Lakoff stammen und die hochpolitisch sind: Frei übersetzt stehen eher Linke demnach für „fürsorgliche Eltern“. Sie versuchen zu erklären und so zu Selbstbestimmtheit beizutragen. Eher Rechte stehen hingegen für den „strengen Vater“: Ihre Zugänge sind Befehlen und vor allem Strafen.
Vor einigen Monaten hat sich die Wiener SPÖ unter Führung von Bürgermeister Michael Ludwig dafür ausgesprochen, Noten abzuschaffen. Türkise und Blaue wiesen dies zurück. Offenbar so entschieden, dass Ludwig und Freunde erschraken. Sie wollten jedenfalls nichts mehr von ihrer Forderung wissen.
Dabei würde es um eine wichtige Debatte gehen. Noten sind ungerecht. Was an einer Schule ein Einser ist, ist an einer anderen unter Umständen ein Fünfer. Mit fatalen Folgen, zumal noch immer zu viele Menschen glauben, Noten würden zum Ausdruck bringen, wie viel sie wert sind. Abgesehen davon wären schlichte Noten selbst dann daneben, wenn sie gerecht wären: Außenstehende (sei es Unternehmer oder weiterführende Bildungseinrichtungen) erfahren durch sie nicht, was eine Person wirklich kann, welche Fähigkeiten sie besitzt.
All das gehört diskutiert. Aber wenn Noten sein müssen, weil sie schon immer waren, und weil Kinderleistungen in einer so primitiven Art und Weise abqualifiziert werden müssen, obwohl man weiß, dass es unsinnig ist, dann geht natürlich gar nichts.
Jetzt meldet sich der „strenge Vater“ auf einer anderen Bühne zurück: Nach einem schweren Missbrauchsfall drängen FPÖ und ÖVP auf eine Ausweitung der Strafmündigkeit auf Kinder unter 14. Gerne verweisen sie dabei auf andere Länder: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) etwa auf Irland, wo die Grenze bei 13 liegt, oder auch die Schweiz, wo sie gar nur zehn Jahre beträgt. Die Schweiz hatte zuvor auch schon FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz erwähnt.
Den beiden wird vielleicht wehtun, wie das dort wirklich ist: Strafmündigkeit beginnt bereits mit zehn. Aber: „Im schweizerischen Jugendstrafrecht geht es in erster Linie um den Schutz und die Erziehung der Jugendlichen. Deshalb werden sie häufig nicht im eigentlichen Sinne bestraft, sondern es werden erzieherische und/oder therapeutische Massnahmen angeordnet“, wie es hier heißt. Konkret vorgesehen sind „Schutzmaßnahmen“ (z.B. persönliche Betreuung, ambulante Behandlungen oder Unterbringung in entsprechenden Einrichtugen) und „Strafen“. Ebensolche im Sinne eines Freiheitsentzugs gibt es aber erst ab 15.
Zusammengefasst heißt das: Kinder ab zehn sind bei den Nachbaren strafmündig und werden zur Verantwortung gezogen. Dabei geht es jedoch darum, sie zu unterstützen, nicht, sie büßen zu lassen. Haft wird ihnen erspart.
Das muss hier so deutlich ausgesprochen werden. Zumindest Schnedlitz vermittelt nämlich den gegenteiligen Eindruck. „Prävention und Streetwork“ seien nett, meint er in einer Aussendung, möglich sein müsse jedoch auch bei unter 14-Jährigen „die volle Härte des Gesetzes“. Mit Verweis auf die Schweiz ist das eine Irreführung, vermittelt den Eindruck, bei den Eidgenossen gebe es Kindergefängnisse.