Nichts wissen

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ANALYSE. Der Informationsstand darüber, wie es Kindern und Jugendlichen geht, ist erschreckend – politisch jedoch beabsichtigt.

Es gibt Leute, die wissen nicht, was ist und sagen trotzdem, was sie sich denken. Kaum war am Dienstagvormittag bekannt geworden, dass es an einer Grazer Schule einen Amoklauf gibt, hieß es auf der Facebookseite von Thomas Dim, dem freiheitlichen Klubobmann im oö. Landtag, unter seinem Bild und seinem Namen: „Ich wiederhole mich: Ein Land ohne Abschiebungen ist ein Land ohne Schutz.“

Dem war ganz offensichtlich die Überzeugung zugrunde gelegen, dass es sich beim Täter nur um eine Person handeln kann, die von Dim und seinesgleichen als „illegal“ bezeichnet wird und die über keine österreichische Staatsbürgerschaft verfügt. Später wurde Betroffenheit über die Katastrophe vermittelt: Der Satz wurde gestrichen und durch ein schlichtes „Furchtbar!“ ersetzt. Es war klar geworden, dass der mutmaßliche Täter ein Steirer war.

Nichts wissen: So oft wird das gerade jetzt wieder deutlich. Daten zu Waffenbesitz und dergleichen sind nicht einfach abrufbar. Naheliegende Vermutung: Es soll kein großes Thema und schon gar keines sein, über das evidenzbasiert geredet werden kann.

Ebenfalls am Dienstag ging eine Meldung durch die Medien, die mit dem Amoklauf nichts zu tun hatte: „21,5 Prozent der Kinder 2023 ohne österreichischen Pass“, hieß es auf ORF.AT beispielsweise. Es ist unglaublich und Ergebnis eines unsäglichen Framings: In Wirklichkeit ging es um den Umsetzungsstand der UN-Kinderrechtskonvention. Ja, darum. Jugend- und Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) hatte mit dem Familienforscher Wolfgang Mazal eine Pressekonferenz gegeben. Übrig blieb unter anderem für ORF.AT aber das Erwähnte.

Das wahre Thema wäre relevant: Es könnte Aufschlüsse darüber geben, wie es Kindern und Jugendlichen in Österreich geht. Der Bericht zum Umsetzungsstand liefert dazu jedoch wenig Aufschlussreiches. Es handelt sich um eine „Datenanalyse und -aufbereitung“. Zum „Wohl des Kindes“ gibt es Statistiken zu Adoptivwerbenden und Pflegepersonen nach Bundesländern. Zum Recht geflüchteter Kinder ein paar Asylantrags- und -entscheidungsstatistiken. Informationswert? Gegen null.

Man will nicht wissen, wie es den Leuten im Allgemeinen sowie Kindern und Jugendlichen im Besonderen geht. Man will eher ungehindert Stimmungen befeuern können. Erhebungen zu Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung oder sozialen Krisenfolgen führt die Statistik Austria durch, weil es sich um europaweite Erhebungen handelt und sie quasi für Österreich in der Pflicht steht. Befragungen zur Zufriedenheit und anderen Dingen wiederum lässt die Europäische Kommission unter dem Titel „Eurobarometer“ regelmäßig durchführen. Nicht die hiesige Regierung. Natürlich gibt’s daneben immer wieder irgendwelche Umfragen. Hier ist jedoch von hochqualitativen mit einem Sample von 1000 und mehr die Rede, bei denen ein ernsthaftes Interesse an der Befindlichkeit der Leute besteht.

Vom Boden- bis zum Neusiedlersee reden Landes- und Bundespolitiker gerne von Sachen wie Jugend- und Familienfreundlichkeit, lassen aber so gut wie nie Untersuchungen dazu durchführen. Dabei wäre es der erste logische Schritt, festzustellen, wie es Minderjährigen etwa geht: Wie zufrieden sind sie mit dem Leben im Allgemeinen, wie kommen sie mit dem Bildungssystem zurecht, wie mit dem Leistungsdruck? Was hat es mit der Zunahme von ADHS- oder auch Burnout-Fällen bei Kindern auf sich? Erst wenn man solche Dinge weiß, kann man gezielt gegensteuern und für bessere Verhältnisse sorgen. Sonst kann man nur irgendwas behaupten.

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