ANALYSE. Zu spät zeigt die „Krone“ den Amokläufer von Graz nicht mehr unverpixelt: Er ist schon zu einem potenziellen Idol gemacht worden.
Viele haben während und nach dem Amoklauf in der Grazer Dreierschützengasse Großes geleistet. Da ist etwa die 59-jährige Lehrerin, die sich schützend vor Schüler gestellt haben soll und dann selbst zum Opfer geworden ist, wie die „Kleine Zeitung“ berichtete. Sie steht für Pädagoginnen und Pädagogen, die ganz für den Nachwuchs da sind: Weit über das hinaus, was ein Lehrplan vorsieht oder Dienstpflicht ist.
Einzelne Medien haben für Reichweiten und Klicks nach dem Amoklauf Beschämend-Fahrlässiges geliefert. Die „Kleine Zeitung“, die dem Qualitätssegment zugeordnet werden kann, zählt nicht dazu. Obwohl sie in Graz gemacht wird und ihr bzw. ihren Mitarbeitern daher vieles viel nähergegangen sein muss. Schon am Mittwoch bzw. nach kaum mehr als 24 Stunden ließ sie zum Beispiel die Medienethikerin Claudia Paganini zu Wort kommen.
Eine Botschaft von Paganini lautete: Grundsätzlich gilt, dem Täter kein Gesicht zu geben. Die Gefahr besteht, dass „Menschen mit Gewalt-Problemen den Täter als Idol wahrnehmen und ihn vielleicht sogar imitieren wollen“.
Die „Salzburger Nachrichten“ (ebenfalls Qualitätssegment), präsentierten wenig später ein konkretes Beispiel: Ihr war das Profilbild aufgefallen, das der Amokläufer von Graz in sozialen Netzwerken hatte: „Darauf ist nicht der 21-Jährige zu erkennen, sondern Dylan Klebold. Jener 17-Jährige, der gemeinsam mit einem Freund am 20. April 1999 in der Columbine High School im US-Bundesstaat Colorado 13 Menschen tötete, ehe sich die Schüler selbst das Leben nahmen. Die Tat gilt als Wendepunkt im Zusammenhang mit Schulschießereien. Auch, weil unzählige Videos im Nachhinein auftauchten und wohl so zur Blaupause für weitere Amokläufe an US-Schulen wurden. Zwei Schüler, die in langen schwarzen Mänteln kaltblütig junge Menschen erschossen, wurden in gewissen Kreisen zu Helden stilisiert.“
Es gibt noch immer Medien, die den Amokläufer von Graz unverpixelt zeigen. Auf der Seite von „Österreich – oe24“ beispielsweise finden sich solche Bilder nach wie vor. Die „Kronen Zeitung“ zeigt den Mann dagegen nicht mehr unverpixelt, nachdem sie es zunächst mehrfach getan hat.
In einem Leitartikel schreibt der Chefredakteur darüber: „Darf man das Foto des Täters zeigen – das ist eine der Fragen. Wir haben es in der Redaktion ausführlich diskutiert und sind zum Schluss gekommen: ja! Es besteht ein Interesse der Betroffenen, ein Interesse der Öffentlichkeit daran, zu erfahren, wer und was hinter dieser Tat steckt. Dazu gehört auch, zu zeigen, dass dieser 21-Jährige nicht wie ein kraftstrotzender Rambo wirkt, sondern eher wie ein verschrecktes, unerwachsenes Wesen.“
Als ob das am Problem etwas ändern würde.
Der Schaden ist angerichtet: Es ist nicht schlecht, dass das reichweitenstärkste Medium nach dem ORF indirekt eingesteht, einen unverzeihlichen Fehler gemacht zu haben und den Mann jetzt verpixelt präsentiert. Besser spät als gar nie. Einerseits. Andererseits sind die Bilder längst draußen.
Und andererseits gibt es auch keine offene Selbstkritik. Im Gegenteil, der Chefredakteur schreibt wörtlich: „Das schreckliche Massaker, das ein 21-Jähriger am Dienstag im BORG Dreierschützengasse angerichtet hat, hinterlässt tiefe Spuren. (…) Unterschiedlich fällt auch die journalistische Aufarbeitung aus. Manche Vertreter ausländischer Medien kannten keine Zurückhaltung. Ein Großteil der österreichischen Journalisten dagegen versuchte, gewisse Grenzen nicht zu überschreiten.“ Es ist unfassbar: Ausländische Medien sollen im Unterschied zu den meisten österreichischen nicht angemessen agiert haben. Behauptet der Chefredakteur der Krone.
Was tun? Medienminister Andreas Babler (SPÖ) tut gut daran, zu handeln: Er plant ein „Forum Medienverantwortung“ und will über allfällige Konsequenzen beraten. Nahliegend wäre dies: Medien werden von der Regierung aufgefordert, sich im Sinne des Ehrenkodex der österreichischen Presse selbst in die Pflicht zu nehmen und allenfalls über den Presserat zu bestrafen – und zwar finanziell spürbar. Zweitens: Was ein Medium sein will, muss sich dem anschließen. Drittens: Es ist Voraussetzung für die Gewährung öffentlicher Förderungen, aber auch Inserate.