BERICHT. Figls „Weihnachtsrede“ gehört nicht aus den Geschichtsbüchern gestrichen. Ihrer Entstehungsgeschichte gehört jedoch entsprochen.
„Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben, ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!“
Es gebe kein Staatsjubiläum, bei dem nicht zu Recht dieses Tondokument gespielt werde, schreibt Herbert Lackner in seinem Buch „1945 – Schwerer Start in eine neue Zeit“ (Verlag Ueberreuter). Gemeint ist die Rede von Leopold Figl, die sich über die Jahre zu einem Mythos entwickelt hat, der sich bis heute hält.
Auf ORF III ist am 15. Mai die „Baumeister der Republik“-Sendung über Figl damit eingeleitet worden. „Glaubt an dieses Österreich“, wiederholt Cornelius Obonya als Sprecher und erklärt: Kaum jemand, der die Rede am Weihnachtsabend 1945 gehört habe, „konnte sie jemals wieder vergessen“.
Der Haken: Kein Mensch konnte sie am 24. Dezember 1945 gehört haben. Lackner hat recherchiert, in Zeitungen von damals nachgeschaut und keinen Bericht darüber gefunden. Nicht einmal im „Kleinen Volksblatt“, das zur ÖVP, also Figls Partei, gehörte.
Heute weiß der ehemalige „Profil“-Chefredakteur, dass die Weihnachtsrede „nie gehalten wurde“. Es handle sich vielmehr um einen „durch einen kleinen Schwindel geschaffenen Mythos“, der „sehr schön“ sei.
Was es gibt, ist ein Tondokument, auf dem Figl zu hören ist und er die besagte Rede hält. Es ist aber nicht so, wie man bisher geglaubt hat; dass er hier nämlich 20 Jahre später, bereits todkrank, wiederholte, was er am Weihnachtsabend des Jahre 1945 gesagt habe. Lackner klärt in seinem Buch auf, dass die späteren Journalisten Hans Magenschab und Ernst Wolfram Marboe für eine Jubiläumsfeier 1965 die Idee hatten, Figl einen von ihnen verfassten Text vortragen zu lassen; dieser gefiel ihm, sodass er gerne dabei war.
Wenn man bedenkt, wie bedeutend Figls „Weihnachtsrede“ bis heute ist, ist es bemerkenswert, wie wenig darüber berichtet wird, worum es sich handelt: „Ein Fake“, wie es jüngst auf Basis von Lackners Rechercheergebnissen in der Ö1-Sendung „Kontext“ hieß. Überrascht es wenig, wenn der Mythos gerne weiter gepflegt wird. So hat die „Kleine Zeitung“ jüngst, nachdem Markus Figl, ein Großneffe von Leopold Figl, die Wiener Volkspartei übernommen hatte, geschrieben, dieser könne nur an die Leute appellieren: „Glaubt an diese ÖVP!“
Schlimm? Die „Weihnachtsrede“ gehört nicht aus den Geschichtsbüchern gestrichen. Zu ihrer Geschichte gehört jedoch zwingend ihre Entstehung. Es war der Versuch, 1965 zum Ausdruck zu bringen, was 1945 war sowie durch die bloßen, aber starken Worte „Glaubt an dieses Österreich!“ Identitätsbildendes hinzuzufügen. Was gerne angenommen wurde, sodass die Authentizität bis zuletzt nicht bezweifelt wurde.