ANALYSE. So erfreulich die Eindämmung des Coronavirus ist und so herausragend das außerhalb Asiens auch sein mag: Nicht nur wirtschaftlich ist der Preis hoch.
Grausame Szenen wie in lombardischen Krankenhäusern sind Österreich erspart geblieben; bisher, wie man bei aller Vorsicht immer auch hinzufügen muss: Österreich hat es wie kaum ein anderes Land außerhalb Asiens geschafft, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Das Gesundheitswesen ist weit von einem Kollaps entfernt geblieben. Zu viele, aber vergleichsweise halt doch sehr wenige Todesfälle sind verzeichnet worden.
Man könnte jetzt sagen, dass sich die Menschen, die in Österreich leben, das in gewisser Weise auch verdient haben: Früher als andere haben sie auf Geheiß der Regierung sehr viele Freiheitsrechte abgegeben und ihre Haus eher nur noch verlassen, wenn’s notwendig oder draußen zu schön war. Dort aber sind sie meist diszipliniert auf Distanz zueinander gegangen. Das ist das eine. Das andere: Das wirtschaftliche Leben ist mehr oder weniger stillgelegt worden. Hunderttausende sind in Kurzarbeit gewechselt, noch einmal Hunderttausende in die Arbeitslosigkeit abgestürzt, existenzielle Sorgen inklusive.
Und jetzt? Schalter um und retour? Eben das wird es hinten und vorne nicht geben und das kann einen auch durchaus sorgenvoll stimmen. Wo soll man anfangen? Vielleicht hier: Österreich hat sich im Notstand in eine zentral gesteuert Republik verwandelt. Die Regierung will in diesem Sinne in den nächsten Wochen entscheiden, welche Branchen und Betriebe unter welchen Bedingungen wieder in Gang gesetzt werden sollen. Das ist ein gut gemeintes, aber extrem riskantes Projekt: Erstens hängen fast alle Branchen und Betriebe zusammen, was dazu führt, dass A Probleme bekommen kann, wenn B weiterhin verpflichtet ist, stillzustehen. Und zweitens unterbindet es jegliche Kreativität: Gastronomiebetriebe sollen beispielsweise geschlossen bleiben, auch wenn der Besitzer eines Restaurants eine geniale Idee hätte, wie er einen Freibereich eröffnen könnte, in dem die Leute weit genug voneinander entfernt sitzen.
Selber denken ist überhaupt nicht mehr gefragt. Vor wenigen Wochen hieß es, ein Mundschutz bringe nichts. Jetzt ist es ganz anders und grundsätzlich vielleicht auch gut. Weil aber sogar ein Schal ausreichen soll, kann es keinen medizinischen Grund dafür geben. Spekulieren wir, dass es in Wirklichkeit darum geht: Außer Haus sollen wir möglichst wenig kommunizieren mit anderen Menschen. Nicht, dass das völlig daneben wäre in Zeiten erhöhter Ansteckungsgefahr; im Gegenteil. Der Mundschutz, der nicht dazu angetan ist, miteinander zu plaudern, bekommt so aber eine ganz andere Bedeutung: Er ist eher ein Maulkorb.
Auf weitere Maßnahmen hat die Regierung vorerst verzichtet: die verpflichtende Einführung einer Stopp-Corona-App und den sogenannten Ostererlass. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat immerhin darauf hingewiesen, dass der Staat das Privatleben nicht so weit regeln kann, dass er bestimmt, mit wem und mit wie vielen Leuten man in den eigenen vier Wänden zusammensitzt. Das Schlimme dabei ist jedoch, dass man im Gesundheitsministerium glaubte, das sehr wohl tun zu können; sonst hätte man den Erlass ebendort ja nicht fabriziert.
Auch dieser Erlass wäre darauf hinausgelaufen, den Menschen das Denken abzugewöhnen: Selbst zu Hause würden zu viele nicht mehr das tun, was ihres Erachtens vernünftig ist, sondern einfach nur, was „die Regierung“ sagt. Was letzten Endes im Übrigen bedeuten würde, dass auch Unvernünftiges herauskommt, weil man ja verlernt hat, abzuwägen – und die Regierung natürlich nie alles regeln kann.
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