Anstand ist kein Kriterium

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ANALYSE. Amoklauf: Vor allem Boulevardmedien stehen in der Kritik. Zu befürchten haben sie nichts. Steuermillionen fließen immer wieder weiter an sie.

Beim Presserat laufen die Telefone heiß bzw. gehen vermehrt Mails ein. Es war zu erwarten. Nach dem Amoklauf in Graz gab es für manche Medien kein Halten mehr. Insbesondere ein Video machte die Runde, auf das unter anderem die „Kronen Zeitung“ mit dem Titel „Wie Jugendliche um ihr Leben rennen“ online hinwies und über das dann – mit Bildern – etwa auch „Österreich – oe24“ in der Printausgabe berichtete.

Zu sehen sind die Gesichter der Minderjährigen nicht, es geht jedoch darum: Das ist eine Gruppe, die besonders geschützt ist, was ein Grund für den Presserat ist, sich näher damit zu befassen. Im Übrigen geht es schlicht um Anstand oder einen angemessenen Umgang mit einer solchen Katastrophe: Allein ein solcher würde er verbieten, mit menschlichem Leid Reichweiten und Klicks zu machen.

Laut ORF.AT sind beim Presserat nicht nur Beschwerden über Boulevardmedien eingegangen, sondern auch über einen Artikel des Nachrichtenmagazins „profil“: „Da waren eine Reporterin und ein Reporter an dem Ort, an dem der mutmaßliche Täter gewohnt hat. Sie haben mit Nachbarn gesprochen und auch bei der Wohnung der Mutter und des älteren Bruders geläutet“, wird Alexander Warzilek, der Geschäftsführer des Presserates, zitiert. (Die „profil“-Chefredakteurin verteidigt das Vorgehen ihrer Mitarbeiterinnen.)

Der Presserat ist ein Organ der Selbstkontrolle, Grundlage seiner Entscheidungen ist der Ehrenkodex der österreichischen Presse. In diesem steht nicht viel, das jedoch ist wesentlich. Es geht darum, wie Journalist:innen zu arbeiten und Medien zu berichten haben. Es geht um Gewissenhaftigkeit, Persönlichkeitsschutz und Intimsphäre. Und diesbezüglich zum Beispiel darum: „Vor der Veröffentlichung von Bildern und Berichten über Jugendliche ist die Frage eines öffentlichen Interesses daran besonders kritisch zu prüfen.“

Beim Presserat gibt es bei weitem nicht nur Beschwerden über Boulevardmedien, sie aber werden öfter „verurteilt“. „Verurteilt“ heißt, dass er Verstöße gegen den Ehrenkodex feststellt.

In den vergangenen fünf Jahren (2020 bis 2024) wurde die Tageszeitung „Österreich – oe24“ allein 44 Mal verurteilt, die „Krone“ 39 Mal und „Heute“ zwölf Mal. Allein diese zwölf Mal sind schon mehr als die „Kleine“, der „Kurier“ und die „OÖ Nachrichten“ sowie die „Salzburger Nachriten“, der „Standard“ und die „Presse“, die dem engeren Qualitätssegment zugeordnet werden, zusammen (acht Mal).

Es ist aber ziemlich egal: Steuergelder gibt’s trotzdem schier ohne Ende. Die Rede ist hier von Inseraten der Bundesregierung bzw. Ministerien sowie der Stadt Wien, also dem Instrument der willkürlichen, aber substanziellen Presseförderung in Österreich: An die „Krone“ flossen in den fünf Jahren 30,5 Millionen Euro, an „Heute“ 25,9 und an „Österreich – oe24“ über 20 Millionen Euro. Beziehungsweise ungefähr so viel wie an „Standard“ und „Presse“ zusammen, was nicht einmal mit den unterschiedlichen Reichweiten begründet werden könnte.

Es wäre – gerade in einer Demokratie – naheliegend, ordentlich, aber nachvollziehbar zu fördern, was wichtig ist für sie. Also Qualitätsjournalismus, der den Ehrenkodex respektiert. Es wäre naheliegend, Förderungen von einer Mitgliedschaft beim Presserat abhängig zu machen, und bei ungewöhnlich vielen „Verurteilungen“ ihren Umfang zu hinterfragen.

Derlei wird bezeichnenderweise jedoch gerade von der FPÖ angelehnt. Laut Protokoll der blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen ist sie dagegen, „Kriterien wie Faktizität, Quellenherkunft und journalistische Sorgfalt“ als „entscheidend für den Erhalt von Medienförderungen“ zu definieren.

Darüber kann man sich nicht wundern. Die sonst satirische „Tagespresse“ hat dokumentiert, wie der von Herbert Kickl und Co. bevorzugte Kanal „AUF1“ über den Amoklauf in Graz berichtet habe. Zum Beispiel so: „AUF1 zeigt ein Video mit den abgedeckten Leichen der Opfer, von der AUF1-Redaktion unterlegt mit trauriger Musik.“

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