ANALYSE. Mit der Abschaffung der kalten Progression müsste auch ein Sparprogramm einhergehen – oder zumindest eine Debatte darüber eröffnet werden. Sonst droht ein sehr böses Erwachen.
Zwischendurch geschieht Ungewöhnliches für die Bundesregierung: Sie wird gelobt. Und zwar für die (weitreichende) Abschaffung der kalten Progression. Die Tageszeitung „Die Presse“ schreibt in einem Leitartikel von einem „historischen Schritt“, für den ihr „Anerkennung gebührt“. Tatsächlich ist die Abschaffung schon von vielen angekündigt worden. Wenn’s ernst wurde, gab es dann aber doch immer wieder Vorbehalte. Auch durch den amtierenden Finanzminister, der zum Amtsantritt 2021 einer klassischen Entlastung den Vorzug gab. Die massive Teuerung, die die kalte Progression erst so richtig spürbar gemacht hätte, führte jedoch zu einem Umdenken.
Mit der schleichenden Steuerreform ist bald Schluss. Das hat aber auch einen Preis, der untergeht: Der Staat wird in weiterer Folge deutlich weniger einnehmen. Die Summe beginnt laut einer Schätzung des Finanzministeriums bei 1,85 Milliarden Euro im kommenden Jahr und könnte bereits 2026 fast acht Milliarden Euro betragen.
Freilich: In schwierigen Zeiten wie den gegenwärtigen muss man es sich gut überlegen, ob – und vor allem wo – es vernünftig ist, gleich zu einem Sparprogramm zu schreiten. Auseinandersetzen muss man sich jedoch mit dieser Fragestellung. Hier geht es nämlich um Dimensionen, die über keine Portokasse bewältigt werden können.
Grundsätzlich wird nicht nur der Bund von Mindereinnahmen betroffen sein, über den Finanzausgleich drohen sie auch Ländern und Gemeinden. Aus den Reihen beider hieß es aber schon, dass man sich vom Bund eine Abgeltung erwarte. Das bedeutet, dass dieser hart bleiben und es auf einen Konflikt anlegen kann, der sich gewaschen hat; oder dass er die Kosten allein schultert. In der Vergangenheit hat er bei anderen Anlässen eher letzteres getan.
Knapp acht Milliarden Euro entsprechen – auf Basis des Voranschlags für heuer – mehr als sieben Prozent der Ausgaben, die der Bund zu tätigen hat. Würde er gleichmäßige Kürzungen in allen Bereichen vornehmen, müsste er die Überweisungen an die Pensionsversicherung um fast 900 Millionen Euro und zum Beispiel die Bildungsausgaben um fast 750 Millionen Euro stutzen. Das wird er nicht tun.
Andererseits: Die größten Ausgabenpositionen sind nun einmal Pensionen (inkl. Beamte), Bildung, aber auch Arbeit (Kurzarbeit, Arbeitslosengelder) sowie Familie und Jugend. Sie machen fast die Hälfte aller Ausgaben aus. Nur bei den anderen zu sparen, hieße, dort extremere Einschnitte vorzunehmen, was insofern schwer bis unmöglich ist, als ja auch nennenswerte Bereiche wie Polizei, Bundesheer und Wissenschaft darunter sind.
Die kalte Progression abzuschaffen, ohne sich über all das auch nur Gedanken zu machen, ist wie vernünftigerweise ein Haus bauen, ohne aber an die Finanzierung zu denken. Oder eine Großbestellung, die nach Lieferung zunächst erfreut, per Nachnahme vorzunehmen. Es kann zu einem bösen Erwachen führen.