Pi mal Daumen

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ANALYSE. Der Finanzminister weiß wenig über die budgetären Entwicklungen in den Ländern. Eigentlich müsste er sein Amt abgeben: Es ist ihm nicht möglich, seiner Gesamtverantwortung gerecht zu werden.

Fast schon lustig, wie der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) Vorwürfe wegen höherer Defizite der Länder zurückgewiesen hat: Der Hauptteil der Neuverschuldung liege noch immer beim Bund. Und zumindest die Zahlen aus Wien seien transparent ausgewiesen.

Erstens: Dass der Hauptteil der Neuverschuldung beim Bund liegt, liegt in der Natur der Sache. Er nimmt nicht nur fast alle Steuern ein (unter anderem auch für die Länder), sondern hat auch einen Großteil der Ausgaben zu tätigen. Beispiel Pensionen. Außerdem spürt er bei den Ausgaben konjunkturelle Schwankungen viel stärker. Beispiel Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitslosenunterstützungen.

Zweitens: Die Aussage, dass Wien, aber auch andere Länder in budgetären Fragen transparent agieren würden, ist schlicht unverschämt. Während der Bund monatlich über den aktuellen Vollzug berichtet, liefern sie – neben Voranschlägen und Rechnungsabschlüssen von Jahr zu Jahr – nur spärliche bis gar keine Informationen.

Der Budgetdienst des Parlaments hat gerade versucht, gesamtstaatliche Maßnahmen zur Korrektur des „Übermäßigen Defizits“ (EU-Verfahren) zu analysieren. Zitat: Aufgrund der „unübersichtlichen Informationslage“ in Bezug auf Länder und Gemeinden seien sie „nur eingeschränkt quantifizierbar“. Das Finanzministerium habe sich damit beholfen, „Pauschalwerte als Konsolidierungsbeträge“ anzunehmen.

Eigentlich müsste jeder Ressortchef das Amt abgeben. Nicht nur Markus Marterbauer (SPÖ), der derzeitige. Es geht hier nicht um die Person. Marterbauer kann man vorwerfen, dass er für Länder und Gemeinden zu optimistische oder gar illusorische Annahmen getroffen hat, wenn sich jetzt herausstellt, dass ihre Defizite höher ausfallen und die gesamtstaatliche Neuverschuldung heuer daher nicht von 4,7 auf 4,5 Prozent des BIP sinken, sondern auf 4,9 Prozent steigen dürfte.

Auf welcher Grundlage aber soll er Annahmen treffen? Er kann nur „Pi mal Daumen“ agieren. Die Länder spielen nicht mit offenen Karten. Auszug aus der Analyse des Budgetdienstes: In Niederösterreich beispielsweise ist für heuer ursprünglich ein Defizit von 350 Millionen Euro „beschlossen“ worden. Aufgrund der Hochwasserkatastrophe und damit einhergehenden Kosten ist es schließlich auf 631 Millionen Euro „erhöht“ worden, ehe heuer im Oktober eine weitere Verschlechterung auf 891 Millionen Euro „fixiert“ worden ist.

Über Nacht ist also noch einmal eine Viertelmilliarde dazugekommen. Ein Albtraum für jeden Finanzminister: So kann er seiner Verantwortung für die gesamtstaatliche Entwicklung gegenüber Brüssel und auch sonst nicht gerecht werden.

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