ANALYSE. Falls der Vizekanzler aufzeigen und sich sozialdemokratisch engagieren möchte, bietet sich am ehesten die Gemeinsame Schule dafür an.
Die Perspektive, die Vizekanzler und SPÖ-Chef Andreas Babler für sich und seine Sozialdemokratie sieht, ist nicht erkennbar. Parteiintern gestärkt sind nach all den Wahlen der vergangenen Monate der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Der eine verachtet ihn, der andere duldet ihn.
Inhaltlich groß aufzeigen kann er schwer. In der Medienpolitik hat er sich als zuständiges Regierungsmitglied einer Chance beraubt, indem er sich bei der ORF-Stiftungsratsreform auf das – aufgrund eines VfGH-Urteils – Nötigste beschränkt hat. Im Hinblick auf eine längerfristig noch immer mögliche Kanzlerschaft von Herbert Kickl (FPÖ) ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit nicht gestärkt. Eine grobe Fahrlässigkeit.
Vermögenssteuern kann Babler in den nächsten Jahren wiederum nicht mehr gut fordern. Markus Marterbauer, sein eigener Finanzminister, bekennt sich zum Regierungsprogramm, das er mitausverhandelt hat und in dem das nicht enthalten ist. Das ist insofern kritisch für ihn, als der Budgetkonsolidierungsbedarf von Woche zu Woche größer wird und damit auf alle größere Einschnitte zukommen werden. Nicht nur auf Menschen, denen das nicht wehtut.
Die Kindergrundsicherung, die er bei den Regierungsverhandlungen sehr wohl durchgebracht hat, relativiert sich durch das Kleingedruckte. Vereinfacht ausgedrückt soll zunächst geschaut werden, welche Leistungen es schon gibt. Dann soll geprüft werden, ob noch etwas nötig ist. Bei alledem werden auch sämtliche Bundesländer eine Rolle spielen, was die ganze Angelegenheit verkompliziert. Um es kurz zu machen: Das, was man sich vorstellt, nämlich ein Fixbetrag von zum Beispiel 750 Euro pro Kind, wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geben.
Falls Babler trotzdem noch aufzeigen möchte, würde sich etwas ganz anders anbieten für ihn. Etwas, was zutiefst sozialdemokratisch wäre, Kindern helfen würde und überhaupt im Sinnen von Armutsbekämpfung und Chancengerechtigkeit wäre: die Gemeinsame Schule.
Sie ist im Regierungsprogramm sogar enthalten. Und zwar im Zusammenhang mit dem Hinweis, dass Modellregionen dazu „erleichtert“ werden sollen. „Statistik Austria“ hat gerade wieder darauf hingewiesen, dass die frühe Trennung in der Schule eine verhängnisvoll-schicksalhafte Sache ist: Kinder mit Migrationshintergrund oder Eltern ohne Matura landen eher in der Mittelschule und kommen nach dieser eher nicht mehr viel weiter; sie werden später eher einen schlechter bezahlten Job haben oder gar arbeitslos und armutsgefährdet sein.
Genau hier setzt die Gemeinsame Schule an: „Es geht darum, Kindern unabhängig von ihrem Hintergrund dieselben Chancen zu eröffnen, ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend hohe Leistungen zu erbringen“, heißt es in einem Papier der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg. Sie hat sich im Auftrag einer ehemaligen Landesregierung damit befasst.
Das mag überraschen. Im ÖVP-bestimmten Ländle ist es vor allem aber auch ein Wunsch der Wirtschaft, zu schauen, dass möglichst niemand zurückbleibt. Zumal alle gebraucht werden. Stichwort Fachkräftemangel. Umso naheliegender könnte es für Babler sein, das Thema aufzugreifen: Hier hätte er einen mächtigen Bündnispartner für ein zutiefst sozialdemokratisches Anliegen, bei dem etwas anderes im Vordergrund stehen mag (Fachkräfte), der aber eben dasselbe will. Die Neos, die mit Christoph Wiederkehr den Bildungsminister stellen, wären dafür zu haben. Und im Regierungsprogramm steht’s eben auch. Da könnten die ÖVP-Flügel, die nach wie vor in Ständen denken und die Gemeinsame Schule daher ablehnen, schwer stur bleiben.