ANALYSE. Menschenrechte: Kärntens Landeshauptmann sagt etwas anderes als Stocker, tut jedoch genau das, was er nicht will: Populismus in die Hände spielen.
Die „Kronen Zeitung“ ist außer sich: „Hört, Hört!“, titelt sie und berichtet von einem „Paukenschlag aus Kärnten“. Peter Kaiser, der dortige Landeshauptmann, „ein eindeutig links der Mitte verorteter g‘standener Sozialdemokrat“, habe sich mit einer „durchaus überraschenden Positionierung zur gerade stark diskutierten Menschenrechtskonvention in Migrationsfragen zu Wort“ gemeldet. Er stärke Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) den Rücken. Dieser hatte die Debatte gemeinsam mit anderen Regierungschefs vor zwei Wochen eröffnet.
In Wirklichkeit sagen die beiden nicht ein und dasselbe, gehören die Unterschiede wahrgenommen – auch wenn das die Sache für Kaiser letzten Endes um keinen Deut besser macht.
Also: Frei nach Herbert Kickl (FPÖ) haben Stocker und Co. verlangt, dass Recht ihrer Politik zu folgen habe. Genauer: Sie sprachen sich dafür aus, „die Interpretation der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu prüfen“. Grund: Ihrer Ansicht nach verhindert der Gerichtshof zu oft die Abschiebung „krimineller Ausländer“. Dafür sollte es daher mehr Spielraum auf nationaler Ebene geben.
Aufgrund dieser plumpen Aufforderung, den Gerichtshof zu entmachten, hat der Generalsekretär des Europarates, Alain Berset, auch so heftig protestiert: Es handle sich um den juristischen Arm des Europarates, betonte der Schweizer: Er existiere, um die Rechte und Werte zu schützen, zu deren Verteidigung sich die Mitgliedstaaten verpflichtet hätten.
Peter Kaiser hat nun eine Änderung der Menschenrechtskonvention verlangt: „Die Frage, ob und in welcher Weise die bestehenden Regelungen der EMRK auch in diesen neuen Realitäten effektiv greifen, ist legitim. Sie muss gestellt werden dürfen, ohne dass sofort reflexhafte Vorwürfe gegen jene erhoben werden, die sich für eine sachliche Überprüfung aussprechen“, schrieb der Kärntner in seinem Blog: „Es geht nicht um das Aufkündigen der EMRK. Es geht darum, offen zu prüfen, ob ihre Formulierungen – damals aus der Perspektive der Nachkriegszeit getroffen – auch heute noch die notwendige rechtliche Grundlage bieten, um Freiheit und Sicherheit im Gleichgewicht zu halten. Das ist kein Widerspruch, sondern demokratische Verantwortung.“
Es mag vernünftig klingen, ist jedoch unter Kaisers Würde. Erstens: Er weist darauf hin, dass auch die österreichische Bundesverfassung seit ihrem Inkrafttreten 1920 „mehr als hundert Mal novelliert“ worden sei. Sie mit der EMRK zu vergleichen, ist jedoch daneben: Im Unterschied zu dieser enthält sie viel mehr als Prinzipielles, ja ist sie immer wieder dazu missbraucht worden, Dinge in ihr zu regeln, um sicherzustellen, dass eine Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof unmöglich ist. Es ist ein Sammelsurium geworden, das unter anderem erklärt, warum es in Österreich keinen großen Verfassungspatriotismus geben kann.
Zweitens: Wenn Peter Kaiser der Überzeugung ist, dass die Menschenrechtskonvention nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist, dann muss er präzisiere sagen, was er meint; was seines Erachtens geändert gehört. Das tut er nicht. Er fordert eine „Anpassung“, lässt aber offen welche. Damit macht er sich zum Diener dessen, was er genau nicht will: eines billigen „Populismus“.
Zu wichtig und bedeutend ist die Menschenrechtskonvention, als dass man sie so allgemein in Frage stellen darf, wenn man es gut mit ihr und der Sache meint. Es setzt der Fantasie böser Geister keine Grenzen.
Beispiel: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist bei Abschiebungen aufgrund des Non-Refoulement-Grundsatzes so „streng“. Dieser Grundsatz beruht auf der Überzeugung, dass keine Person in einen Staat zurückgewiesen werden darf, in dem ihr eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte droht. Das wiederum entspricht einer konsequenten Auslegung von Artikel 3 der Menschenrechtskonvention: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Soll das „gelockert“ werden? Es wäre ein zivilisatorischer Rückschritt und nicht legitim, Kaiser zu unterstellen, dass er daran interessiert sein könnte. Genau das aber ist das Problem: Hier ist Klarheit gefordert. Man muss sagen, was man will. Sonst kann sich jeder ermuntert fühlen, herauszunehmen, was er möchte. Auch der Populist.