ANALYSE. Der steirische Landeshauptmann wählt in der Asyldebatte aufschlussreiche Worte. Es geht nicht darum, dass er eine Auseinandersetzung über die EMRK fordert, sondern wie er es tut. Wie Sebastian Kurz. Kickl muss sich Sorgen machen.
Der Vorstoß von ÖVP-Klubobmann August Wöginger, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu überarbeiten, wird parteiintern nicht nur abgelehnt (etwa von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler). Es gibt auch Zuspruch. Zum Beispiel vom steirischen Landeshauptmann Christopher Drexler. Er hat dazu in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ sehr ausführlich Stellung genommen. Die Wortwahl lässt tief blicken.
Drexler unterstützt Wöginger, „wenn es darum geht, auch die EMRK diskutieren zu dürfen“. Gerade wenn man eine Notwendigkeit dafür sieht, sollte man jedoch erklären können, warum das der Fall ist. Vielleicht gibt es Gründe. Drexler ist jedoch nicht in der Lage dazu, welche zu liefern. Zitat: „Man sollte einmal abklopfen, was in einer zeitgemäßen Textfassung eine Deckung finden würde. Möglicherweise braucht es eine Neukodifizierung, um das, was sich auf dem Interpretationsweg ergeben hat, zu bewerten, allenfalls in den Text aufzunehmen oder zu verwerfen.“ Soll heißen: Er stellt etwas zur Debatte, ohne sagen zu können, ob es notwendig ist. Er wirft die Frage einfach nur so in den Raum, nährt Zweifel an der EMRK.
Zunächst betont er in dem Interview, dass es ihm „weniger um den Text der EMRK“ gehe: „Aber die fortlaufende Weiterinterpretation durch den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann man als ein sich verselbstständigendes Richterrecht sehen. Da stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation.“ Das ist ein harter Vorwurf. Und ein absurder: Hier handelt es sich um klassische Rechtsprechung, die permanent fortgeschrieben wird. Das ist etwas Selbstverständliches, beim Verfassungsgerichtshof etwa ist daher noch kaum jemand auf die Idee gekommen, weitreichenden Erkenntnissen die demokratische Legitimation abzusprechen.
Drexler plädiert „für einen vernunftbasierten Diskurs“ und meint weiter: „Das Asylrecht ist eine der vornehmsten Errungenschaften. Aber es ist gedacht als Hilfe für den Notfall. Die große Unterstützung für die Vertriebenen aus der Ukraine, das ist ungefähr das, was die Urheber der EMRK im Geiste hatten. Und nicht das, was wir 2015 erlebt haben und heute wieder erleben: eine Smartphone-basierte, schleppergestützte, illegale Migrationsbewegung aus allen Teilen der Welt, die À-la-carte-Asylpositionen in Mitteleuropa verteilt. Die Asylpraxis, die wir heute erleben, ist eine wirkliche Pervertierung des ursprünglichen Asylgedankens.“
Tatsächlich? Niemand wird bestreiten, dass sehr viele Menschen nach Österreich kommen, ohne Fluchtgründe im Sinne des Asylrechts zu haben. Und dass es unter anderem deshalb umso wichtiger ist, sehr genau darauf zu achten. Das geschieht jedoch. 2015 hat es anders als von Drexler dargestellt nicht nur eine „illegale Migrationsbewegung“ gegeben. Sonst hätten hiesige Behörden zum Beispiel nicht 81 Prozent der Asylanträge syrischer Staatsangehöriger angenommen. Oder umgekehrt gar keine von kosovarischen Staatsangehörigen. Im Unterschied zu Politikern sind Beamte ganz offensichtlich in der Lage, zu differenzieren.
Insofern ist auch diese Aussage von Drexler unsinnig und allein darauf ausgerichtet, Widerstände gegen das gesamte Asylsystem zu befeuern: „Es kann kein Asyl nach Wunsch geben“, sagt der Landeshauptmann. Ein solches Asyl existiert nicht. Würde es das tun, hätten es z.B nicht null, sondern 100 Prozent der Kosovaren gewährt bekommen.
In der Sache überwiegt eine Mischung aus politischem Versagen und ebensolcher Bösartigkeit. Zur Entschärfung eines Wanderungsdrucks nach Österreich wäre es etwa nötig, dass Serbien nicht mehr indische Staatsangehörige visumfrei einfliegen lässt. Das wäre jedoch mit Arbeit verbunden. Und es würde ein Bewusstsein dafür voraussetzen, Teil von Lösungen sein zu müssen.
Diesbezüglich gibt es von Drexler den befremdlichen Satz, dass er „die politische Klasse“ auffordere, darüber zu diskutieren, wie wir diese Situation grundsätzlich verändern könnten. Abgesehen davon, dass das wieder so nebulos ist, kommt dieser Verweis auf eine „politischen Klasse“ dem nahe, was Kickl, Hofer und Co. meinen, wenn sie von Systemparteien oder einem Establishment reden; sie sind zwar Teil davon, distanzieren sich aber nicht nur davon, sondern äußern sich auch noch abwertend darüber. Wie es populistische Abbruchbewegungen halt so tun. .