Keine Ausländerfrage

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ANALYSE. Auch bei der Europawahl ist die FPÖ besonders dort erfolgreich gewesen, wo die wenigsten nicht-österreichischen Staatsangehörigen leben. Das Problem ist ein anderes. Und: Es verstärkt sich.

Im Ö1-Morgenjournal am Tag nach der Europawahl war in einer Reportage zu hören, dass „die Ausländerfrage“ eine große Rolle gespielt habe. Es scheint sich mit den Ergebnissen von Wahltagsbefragungen zu decken: „Zuwanderung“ im weitesten Sinne zählte demnach zu den entscheidenden Themen.

Man muss jedoch aufpassen: Ein Blick auf die Wahlergebnisse liefert keinen Hinweis darauf, sondern eher einen Widerspruch dazu. Am wenigsten stark abgeschnitten hat die FPÖ wieder einmal dort, wo viele ausländische Staatsangehörige leben. In Wien etwa.

Überdurchschnittlich schnitt sie hingegen dort ab, wo vergleichsweise wenige nicht-österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu Hause sind. Zum Beispiel in der Ober- oder Nordweststeiermark bzw. in den Bezirken Bruck-Mürzzuschlag, Leoben, Murtal und Murau („Mur-Mürz-Furche“) sowie in Liezen. Hier wohnen insgesamt rund 335.000 Männer, Frauen und Kinder. Der Ausländeranteil ist mit zwölf Prozent drei Mal niedriger als in Wien.

Bundesweit kam die FPÖ, die für eine „Festung Österreich“ wirbt, auf 25,4 Prozent. Hier jedoch sprang sie von 20 auf 30,6 Prozent, also deutlich mehr noch. Die einst starke Sozialdemokratie musste sich in dieser Region mit 26,3 Prozent begnügen und die zuletzt nur wegen Sebastian Kurz große Volkspartei mit 23,4 Prozent. Doch das ist eine andere Geschichte.

Will man nach einer Erklärung für freiheitliche Erfolge suchen, beginnt man mit der „Ausländerfrage“ sozusagen am falschen Ende. (Abgesehen davon, dass das ein unsäglicher Begriff ist.) Es empfiehlt sich stattdessen, von der Bevölkerungsentwicklung auszugehen: In vier der fünf Bezirke der Nordweststeiermark gab es in den vergangenen zehn Jahren einen Rückgang. In Murau war er mit fast sechs Prozent sogar besonders groß. Einzig in Liezen gab es ein Wachstum, aber auch das belief sich nur auf 0,1 Prozent. Kein Vergleich zu Wien: plus 13,5 Prozent.

Das FPÖ-Phänomen ist vor allem ein Krisenphänomen. Und weil wir eine Zeit multipler Krisen haben, tritt es verstärkt zu Tage: Schon länger feststellbar ist es dort, wo die Entwicklungen weniger rosig sind, um es vorsichtig auszudrücken. Also dort, wo Abwanderung herrscht, Geschäfte und Gasthäuser zusperren sowie Arbeitsplätze und damit auch Perspektiven verschwinden. Hier kommt ein Herr Kickl an, der alles in allem ein Zurück zu vermeintlich guten alten Zeiten verspricht. Hier werden Fremde eher als Bedrohung wahrgenommen, zumal sie für etwas ganz anderes stehen. Hier ist diese „Festung Österreich“ umso begehrter.

Wie gesagt: Das ist schon länger feststellbar. Weil jetzt aber überhaupt alles unsicher geworden ist (Stichwort Teuerung, Stichwort Krieg), kann man davon ausgehen, dass es zunimmt. Dass das neben den Enttäuschungen, die mit Sebastian Kurz einhergegangen sind, eine wesentliche Erklärung für das FPÖ-Phänomen ist.

Mit Integrationsproblemen hat das Ganze nur bedingt zu tun: Für eine Masse in der Nordweststeiermark ist es ein abstraktes, eines, das sie indirekt zu Kickl treibt. Für Menschen in Favoriten etwa, denen Schwierigkeiten auf dem Reumannplatz ungleich näher sind, ist es ein unmittelbares. Wobei: Die FPÖ kam in den dortigen Sprengeln auf 21,6 Prozent, blieb also unter dem bundesweiten Ergebnis (25,4 Prozent). Im Sprengel mit dem unweit davon liegenden Viktor-Adler-Markt, wo Freiheitliche einst ihre Wahlkämpfe abschlossen und vor dem Untergang des Abendlandes warnten, gab es sogar eine grüne Mehrheit.

Migration, Asyl und Integration bleiben trotzdem große Themen, mit denen auch ebensolche Herausforderungen verbunden sind. Ihre Lösung wird aber kaum Einfluss auf die Befindlichkeit sehr vieler Menschen haben, die in Regionen mit Entwicklungsproblemen leben. Da müsste man sich schon ebendiesen widmen und – anstelle eines Autogipfels im Kanzleramt für TV-Kameras abzuhalten – zum Beispiel eine Taskforce dazu einsetzen.

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