Zuerst handeln, dann nachlegen

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KOMMENTAR. Dem Terroranschlag von Wien ging Behördenversagen voraus. Was macht die Regierung? Sie verstärkt antimuslimische Symbolpolitik.

Vizekanzler und Grünen-Sprecher Werner Kogler hat seine Pflicht getan; fürs Protokoll sozusagen: Das Anti-Terrorpaket, das er am Mittwoch gemeinsam mit Sebastian Kurz (ÖVP) präsentierte, sei auch gegen Neonazis gerichtet, betonte er. Unterm Strich hat sein Chef, der Kanzler, freilich klargestellt, was auf dem Programm steht: antimuslimische Symbolpolitik.

In Wien hat ein Anschlag stattgefunden. So viel man weiß, handelte es sich um islamistischen Terrorismus. Kurz kündigt jedoch Dinge wie einen Straftatbestand „politischer Islam“ an, während Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sich gar nicht lange aufhält mit gesetzlichen Grundlagen, sondern erklärt, dass man Hasspredigten „einfach abdrehen“ werde. Beides lässt tief blicken: Hier geht es ausschließlich darum, Signale an eine gewisse Wählerschaft auszusenden, aber sicher nicht darum, ein Problem zu lösen.

Für eine solche Lösung müsste man ja woanders ansetzen bzw. vor der eigenen Türe kehren: Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) trägt die politische Verantwortung für Behörden, die über die Jahre ziemlich schwarz-türkis geworden sind (wie man im BVT-U-Ausschuss gesehen hat) und die nun sämtliche Gelegenheiten, den Attentäter von Wien aufzuhalten, verpennt haben. Sie waren über einschlägige Treffen genauso informiert wie über seine Absicht, Munition zu kaufen. In der ZIB2 Mittwochabend konnte oder wollte Nehammer nicht einmal ausschließen, dass der Attentäter ein V-Mann gewesen ist. Ein V-Mann! Das ist bekannt, muss jedoch wiederholt werden: Es verdeutlicht, wie absurd es ist, ausgerechnet nach diesem Anschlag Behörden noch mehr Möglichkeiten bis hin zu einer lebenslänglichen Präventivhaft zu geben; es ist nicht nur vollkommen daneben, sondern auch noch beängstigend.

Aber natürlich: Eine Aufarbeitung des Behördenversagens wäre ein Eingeständnis. Also wird abgelenkt. Und wie: Kurz kann es nicht lassen, von „politischem Islam“ zu reden. Was das ist, hat er noch nie sagen können; es ist ihm wohl auch egal. Es ist eine Botschaft gegen Muslime im Allgemeinen, wie schon bei der „Beobachtungsstelle Politischer Islam“ (sie hätte auf Wunsch der Grünen einen breiteren Fokus haben sollen, aber das ist hier nur fürs Protokoll und im Regierungsprogramm vermerkt).

„Politischer Islam“ heißt alles und nichts. Daher ist dieser diffuse Begriff auch so ungeeignet für ein Strafgesetzbuch und die Bekämpfung eines wirklich gefährlichen Terrorismus. Es ist wie „politischer Mensch“ – das kann ein friedfertiger sein, der sich für eine bessere Welt einsetzt, ein Christ, ein Atheist, ein Links- oder ein Rechtsextremer, der Phantasie ist keine Grenze gesetzt.

Es wird spannend, wie das geregelt wird – im Sinne von Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) soll Recht wohl der Politik folgen. Das ist ohnehin schon Praxis geworden im Zusammenhang mit der Pandemie: „Einfach abdrehen“, sagt Integrationsministerin Raab. Soll heißen: Wir werden das schon irgendwie machen, juristische Fragen sollten „nicht überinterpretiert“ werden, wie Kurz im Frühjahr erklärt hat.

Diesen Gefallen darf man den beiden nicht machen: Hier geht es um ganz prinzipielle Grundrechtsfragen, die erstens universell sind und zweitens daher alle betreffen.

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