Volksvertreter a.D.

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ANALYSE. Die angebliche „Sternstunde des Parlamentarismus“ war wohl eher nur eine Sternschnuppe. Einige Abgeordnete mögen sich lieber selbst entmündigen.

Die angebliche „Sternstunde das Parlamentarismus“ ist längst vergessen. Nach dem Misstrauensvotum für das Kabinett Kurz vor einer Woche spielen die Abgeordneten wieder die Rolle, die sie auch schon davor eingenommen hatten. Nicht einmal eine Nebenrolle nämlich. Möglich ist das, weil das von einer Mehrheit und ganz besonders auch Präsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) genau so hingenommen wird.

Zunächst jedoch eine Rückblende: Vor 25 Jahren haben Regierungsvertreter um Alois Mock (ÖVP) und Brigitte Ederer (SPÖ) in Brüssel die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union abgeschlossen. Nach der Landung in Wien gaben sie am folgenden Vormittag zunächst eine Pressekonferenz. Eine Pressekonferenz! Trotz des historischen Ereignisses handelten sie sich damit Kritik ein. Ihr erster Weg hätte sie demnach ins Parlament vor die Nationalratsabgeordneten führen müssen. Ist ja klar: Ihnen gegenüber sind sie verantwortlich.

Aus heutiger Sicht wirkt das extrem kleinlich. Was wiederum damit zu tun hat, dass die Vernachlässigung des Nationalrats zur Regel geworden ist: Nachdem Ex-Kanzler Sebastian Kurz vor zweieinhalb Wochen das Ende der Koalition und Neuwahlen verkündet hatte, dauerte es neun Tage, bis der Nationalrat auf Antrag der Opposition zu seiner Sondersitzung zusammentrat und sich Kurz erklärte. Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Vor allem in jener, dass es ja der Nationalrat ist, der Neuwahlen beschließt. Sprich: Wenn, dann sollte eine so weitreichende Entscheidung eigentlich erst nach seiner Einbindung verkündet werden. Würde man meinen. Es ist aber nicht so. Bemerkenswert ist im Übrigen, dass der späte Sitzungstermin nicht von Kurz direkt, sondern von Nationalratspräsident Sobotka höchstpersönlich festgelegt worden war.

Wie normal diese Ignoranz gegenüber den Volksvertretern geworden ist, erkennt man auch an der Vorgehensweise der nunmehrigen Beamtenregierung: Auch Kanzlerin Brigitte Bierlein gab zunächst eine Presseerklärung ab, bei der im Übrigen keine Fragen erlaubt waren. Erst am 12. Juni wird sie sich dem Nationalrat vorstellen. Gebührender Vorrang schaut anders aus. Und wieder muss man sich fragen: Warum lässt eine Mehrheit der Abgeordneten, warum lässt Sobotka mit dem Hohen Haus so umspringen?

Ganz ehrlich: Einem guten Teil der Volksvertreter dürfte es egal sein. Es gibt jedenfalls Rufe, die darauf schließen lassen, dass sie sich selbst nicht als zurechnungsfähig betrachten und daher der Meinung sind, dass sie sich vor sich selbst schützen müssen. Wobei man sagen muss, dass das nicht unbegründet ist. Worum es geht: Gefordert wird zum Beispiel von ÖVP-Klubobmann August Wöginger ein Gesetz, dass es dem Nationalrat verbietet, kostspielige Beschlüsse zu fassen, wie er es insbesondere vor einem Urnengang 2008 getan hat.

Im Grund genommen ist das trotz aller Erfahrungen aus der Vergangenheit eine Selbstaufgabe des Nationalrats. Auf die Idee, einer Regierung zu untersagen, im Hinblick auf eine Wahl gewisse Handlungen zu tätigen, die populär sein könnten, ist bezeichnenderweise noch niemand gekommen – weil wir de facto ja von einer Regierung regiert werden und sich die Nationalratsmehrheit eher nur als Erfüllungsorgan dieser Regierung betrachtet.

 

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