Nehammer, ein Drama

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ANALYSE. Der Kanzler ist bemüht und vor allem auch gemäßigter als sein Vorvorgänger, zwischendurch aber blamiert er sich selbst – und das Sagen haben überhaupt andere.

Man kann darüber streiten, ob ein Regierungschef gut beraten ist, persönlich zu twittern. Aus der Emotion heraus sollte er es nicht tun. Schon gar nicht, wenn er sich dabei auf eine Auseinandersetzung mit einem Parteisekretär herablässt. Das ist nicht seine Liga. Darauf setzt er allenfalls seine eigenen Parteisekretäre an. Wozu hat er sie?

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch hatte sich auf Twitter empört, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) begehe „beim Schiurlaub in den Tiroler Bergen Verantwortungsflucht“, tauche unter und schweige zu den neuesten Chates. Nehammer antwortete dem „lieben Herrn Parteisekretär“ höchstselbst, das sei polemisch und untergriffig, er werde weiterhin einige Tage im Jahr mit seiner Familie verbringen.

Man kann finden, dass die Ausführungen von Deutsch dämlich und die Erwiderungen von Nehammer angemessen waren. Man nimmt damit aber in Kauf, was ist: Der Bundeskanzler der Republik Österreich beteiligt sich an einer lächerlichen Auseinandersetzung. Er riskiert damit Schlagzeilen wie die der Tageszeitung „Heute“, wonach ihm der Kragen geplatzt sei und und er auf Twitter zurückgegiftet habe (siehe Faksimile). Heißt zwischen den Zeilen auch: Während echte Staatsmänner zum Beispiel fieberhaft versuchen, einen Krieg in der Ukraine zu verhindern.

Mehr und mehr entwickelt sich Karl Nehammer zu einer tragischen Persönlichkeit an der Spitze der ÖVP und ihrer Regierungsriege, wie etwa auch Michael Spindelegger eine solche war. Er ist nicht der Chef, der drübersteht. Er ist einer, der irgendwie dabei ist. Oder auch nicht. Er zieht nicht erkennbar-entschlossen in eine bestimmte Richtung.

Die Unterschiede zu Sebastian Kurz sollte man nicht übersehen. Sie sind wohltuend und wichtig für die Demokratiekultur: Nehammer hat noch kein einziges Mal gesagt, dass Österreich besser als andere dastehe, dass einige darunter in ihren Systemen kaputt seien. Er hat sogar demütig betont, dass er ein Lernender sei. Und er wendet sich nicht nur an die eigenen Staatsangehörigen, sondern überhaupt an alle Menschen, die hier leben. Das hat was.

Das Sagen haben jedoch die Landeshauptleute. Sie bestimmen, dass eine Impfpflicht kommt bzw. dass sie de facto wieder abgeschafft wird, noch ehe sie wirklich in Kraft getreten ist. Sie sagen die Lockerungen in der Pandemiebekämpfungen an und so weiter und so fort. Nehammer darf ein bisschen zögern, muss letztlich aber verkünden.

Das Sagen haben türkise Heckenschützen: Die Veröffentlichung des Sideletters zur Koalitionsvereinbarung mit den Grünen war aus demokratiepolitischen Gründen gut und wichtig, diejenigen, die dafür verantwortlich zeichnen, sind aber noch immer Sebastian Kurz verpflichtet. Karl Nehammer haben sie damit ein Riesenproblem gemacht. Seine Koalition ist belastet worden.

Das Sagen hat Niederösterreich: Für die ÖVP entscheidend ist in den nächsten Monaten der U-Ausschuss gegen sie. Ihre Checker dort sind nicht unbedingt Nehammer-Leute, sondern die beiden Niederösterreicher Wolfgang Sobotka und Andreas Hanger. Das ist für deren Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner insofern relevant, als dieser Ausschuss auch für sie im Hinblick auf die kommende Landtagswahl bedeutend ist. Beziehungsweise gefährlich werden könnte. Mit dem Bekanntwerden ihrer „Rote bleiben Gsindl“-SMS ist ohnehin schon zu viel Schaden angerichtet worden.

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