Was Grünen wehtut

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ANALYSE. Nicht die Impfung ist das Problem, sondern die Pflicht. Und die Wortwahl von Sigrid Maurer. Hier geht es um eine Zäsur.

Bei den Grünen ist die Impfdebatte durch die Bill-Gates-Aussage von Ex-Bundessprecherin Madeleine Petrovic und die Faschismus-Anspielung des (damaligen) Kommunalpolitikers Martin Hämmerle erledigt worden. Das ist dazu angetan, eher nur noch „Ja, aber“-Wortmeldungen zuzulassen. Motto: Man lehnt zwar ab, was die beiden gesagt haben, hat aber ebenfalls ein Problem mit der Impfpflicht. So zu argumentieren lässt man lieber.

Wobei: Spielt das noch eine Rolle? Mit der Impfpflicht ist es ungefähr so wie mit vielen anderen Dingen, um die sich die Politik kümmern sollte, aber nicht tut, bis es Zwölf ist. Womit sie eine vermeintliche Alternativlosigkeit herbeiführt, die sie zwingt, mit Zustimmung eines größeren Teils der Gesellschaft wirklich hart durchzugreifen.

Es ist wichtig, dass möglichst viele Menschen geimpft sind. Man hat sich nicht darum bemüht, das so einleuchtend zu begründen, dass sich freiwillig genügend Männer und Frauen darauf eingelassen haben. Also schreitet man zur Pflicht.

Von daher könnte man diesen Text an dieser Stelle beenden. Eine klare parlamentarische Mehrheit fasst den notwendigen Beschluss. Und: Wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, können Leute, die gegen das Gesetz sind, in weiterer Folge vor den Verfassungsgerichtshof ziehen und sich bei der nächsten Wahl erkenntlich zeigen. Punkt.

Bei den Grünen geht die Sache weiter. Klubobfrau Sigrid Maurer sagt, ihre Position sei „vollkommen klar“: „Die Bundespartei, die Landesorganisationen, der Parlamentsklub seht zu 100 Prozent hinter dem Impfprogramm und auch der Impfpflicht.“ Sie werden daher zwar geschlossen zustimmen, das wird aber doppelt Spuren hinterlassen.

So einfach ist das mit der Impfpflicht und vor allem auch der Art und Weise, wie man es dazu kommen lassen hat, dass sie alternativlos erscheint, nicht. Grundsätzlich spricht sehr viel dafür, dass Grüne – und damit sind auch Wählerinnen und Wähler gemeint – zu einem überdurchschnittlich großen Teil geimpft sind: Erhebungen in Rahmen des „Austrian Corona Panel Projects“ der Uni Wien etwa oder die Impfquote nach Bildungsstand und das Wahlergebnis nach diesem (siehe Grafik).

Das entspricht einem Menschenbild, das im Parteiprogramm der Grünen zum Ausdruck kommt: Im Bildungskapitel wird die Bedeutung der selbstbestimmten Gestaltung des Lebens in Verbindung mit einem verantwortungsvollen Miteinander in einer demokratischen Gesellschaft betont. Hier geht es um Dinge wie Vernunft und Erkenntnis (gewissermaßen) aus sich heraus. Eine staatliche Anordnung in Form einer Pflicht, sich impfen zu lassen, ist ein glatter Widerspruch dazu. Sie setzt sich über Vernunft und Erkenntnis der einzelnen Person hinweg. Und zwar unabhängig davon, wie wichtig ihr individuelle Vernunft und Erkenntnis sind.

Wenn Selbstbestimmtheit und Verantwortungsbewusstsein gepflegt werden, muss die Impfpflicht wehtun. Bei Betroffenen wird das unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Die einen werden aus Prinzip dagegen sein, die anderen werden pragmatisch bleiben und trotzdem dafür sein. Weil man ja die Regierungsbeteiligung nicht gefährden möchte, es nicht mehr anders geht, die Impfquote auf 90 Prozent oder mehr zu bringen etc.

Hier muss man noch einmal die Behauptung von Sigrid Maurer aufgreifen, dass de facto alle Grünen-Funktionäre und -Mandatare „zu 100 Prozent hinter dem Impfprogramm und auch der Impfpflicht“ stehen würden. Als Klubobfrau einer Koalitionspartei glaubt sie offenbar, nicht anders zu können. Hier gibt es nur die vollkommende Geschlossenheit. Eine Abgeordnete, die kritisch-differenzierende Anmerkungen vornimmt, geschweige denn das freie Mandat ausübt und ein abweichendes Stimmverhalten ausübt, ist undenkbar: Das muss gerade Grünen zusetzen. Und da braucht man jetzt nicht die „Basisdemokratie“ strapazieren. Es geht darum, dass sie sich gezwungen sehen, Selbstbestimmtheit zu opfern. Böse Zungen mögen behaupten, das sei eben der Preis der Macht oder sie würden jetzt halt erwachsen werden. Der Punkt ist, dass es sich um eine Zäsur handelt.

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