Rot-Pink und „strukturelle Korruption“

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ANALYSE. An der Seite der SPÖ könnten die Neos ihre Unschuld verlieren. Unter anderem in Bezug auf millionenschwere Inseratengeschäfte.

Franz Schellhorn, Chef der wirtschaftsliberalen Denkfabrik „Agenda Austria“, hat den Neos quasi ein Nichtgenügend erteilt für das, was sie zur Bildung einer rot-pinken Stadtregierung in Wien vereinbart haben: „Wer nicht die Zeit haben sollte, den über 200 Seiten dicken Koalitionspakt zu lesen, hier eine sehr kurze Zusammenfassung des Inhalts: Staat, Staat, Staat“, so Schellhorn auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Passagen zur Liberalisierung des „Ladenschlusses“ vermisste er ebenso wie „zur Abstellung systematischer Frühpensionierungen“.

Natürlich: Das ist eine erbarmungslose Abrechnung, die darüber hinweggeht, dass hier eine 7,5- mit einer 41,6-Prozent-Partei sehr, sehr weitreichende Kompromisse eingehen musste. Es erinnert an Türkis-Grün auf Bundesebene. Dort haben die Grünen recht viel auf- und sich mit sehr Vagem zufrieden gegeben. Auch das macht ihnen heute zu schaffen.

Wird’s den Neos ähnlich gehen? Die Gefahr ist geringer, aber nicht zu unterschätzen. Glück der Pinken um ihren Chef, den künftigen Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr, ist, dass sie hier auf kommunaler Ebene unterwegs sind. Da ist selbst die Zuständigkeit für Bildung, die Wiederkehr haben wird, eine begrenzte. Das bedeutet, dass er nicht viel ändern, aber auch nicht viel falsch machen kann. Auch bei Themen wie Europa- oder Flüchtlingspolitik kann ihnen nicht so viel passieren wie den Grünen an der Seite der ÖVP; erstens, weil die wesentlichen Entscheidungen auch hier in der Bundespolitik getroffen werden und zweitens, weil ihnen die Sozialdemokraten bei alledem ohnehin recht nahe stehen.

Schon eher heikel wird es für die Neos bei den Pensionen: Wien gewährt seinen Beamten jahrzehntelange Übergangsfristen bei der Abschaffung diverser Bestimmungen, die zum Beispiel vom pinken Sozialsprecher Gerald Loacker ab sofort kaum noch angeprangert werden können; es sei denn, er nimmt damit auch die eigenen Freunde in der Stadt in die Pflicht.

Viel bedrohlicher noch wird es für die Leute von Beate Meinl-Reisinger in Machtfragen: In Bezug auf Inserate der Stadt hat Ex-Bundesparteichef Matthias Strolz einst von „struktureller Korruption“ geschrieben. Ja, auch der (damals) neue rote Bürgermeister von Wien, Michael Ludwig, sei nicht bereit, damit aufzuhören, wetterte er vor zwei Jahren auf Facebook. Nachsatz: „Machterhalt über alles.“

Dazu muss man folgendes wissen: Im Vergleich zur Stadt Wien und ihren Töchtern sind Kanzleramt und Ministerien geradezu sparsam im Umgang mit Steuergeldern bzw. Inseraten. Bei der Stadt selbst wird in der Medientransparenzdatenbank allein für das erste Halbjahr 2020 ein Gesamtvolumen von 11,12 Millionen Euro ausgewiesen. Dem nicht genug, fließen die Steuergelder noch über viele weitere Kanäle. Bei der „Wien Holding GmbH“ steht eine Summe von 1,21 Millionen Euro, bei der „Wien ENERGIE GmbH“ sind es weitere 1,09 Millionen und bei der „WIENER LINIEN GmbH“ noch einmal 0,41 Millionen Euro. Wobei das nicht alles ist – dieSubstanz.at hat hier lediglich eine Auswahl für offensichtliche Wien-Töchter getroffen. In der Datenbank stehen viele weitere, was nur verdeutlicht, womit die Neos konfrontiert sind: Nicht nur mit einem sehr großen Koalitionspartner, sondern auch schier undurchschaubaren Netzwerken und Strukturen.

Umso bemerkenswerter ist, dass sie sich im Koalitionsvertrag mit so vagen Aussagen dazu begnügen: „Bei Medienkooperationen und Inseraten legt die neue Stadtregierung in ihrer Kommunikationsstrategie fest, dass sie bevorzugt mit jenen Medien zusammenarbeiten wird, bei denen journalistische Sorgfalt, Innovation sowie Aus- und Weiterbildung der Journalist_innen einen hohen Stellenwert haben. Hierfür werden klare und transparente Strukturen und Sanktionen definiert“, heißt es da: Allein das Wort „bevorzug“ ist ein Widerspruch zu letzterem.

Man muss kein Pessimist sein, um zu behaupten, dass diesbezüglich nichts zustande gekommen wird. Hier haben ganz einfach Profis für die SPÖ ebenso unverbindliche Formulierungen durchgesetzt, wie es jene der neuen ÖVP von Sebastian Kurz beim türkis-grünen Pakt zum Klimaschutz gemacht haben. Dort steht zwar eine Ökologisierung des Steuersystems drinnen, aber nur so offen, dass es den Vielen, die dagegen sind, ein Leichtes sein wird, sie zu verhindern.

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