Nicht ganz völlig normal

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ANALYSE. Wie Kurz und sein Kanzler versuchen, die ÖVP-Korruptionsaffäre zu verharmlosen. Das darf nicht durchgehen.

Einerseits kann man sich darauf verlassen, dass mehr und mehr Menschen erkennen, wie sehr sie von Sebastian Kurz in den vergangenen Jahren betrogen worden sind. Andererseits muss man ernst nehmen, was der ÖVP-Chef und -Klubobmann gemeinsam mit seinem Bundeskanzler Alexander Schallenberg betreibt: eine Verharmlosung der Korruptionsaffären. Wieder einmal glauben sie, die Leute für dumm verkaufen zu müssen und unterstellen, dass – wie zunächst auch der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter – eh kaum jemand die 104 Seiten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gelesen hat; geschweige denn den viel umfangreicheren Analyse- und weitere Texte. Womit sie noch richtig liegen könnten. Überzogen ist jedoch die Vorstellung, dass eine Masse, die zumindest Medienberichte konsumiert, gar kein Problembewusstsein entwickelt hat in den vergangenen Tagen.

Also vermitteln die beiden den Eindruck, dass es nur um ein paar dumme Aussagen geht. Das „Vollgas“ für einen Kirchenvertreter und das „Arsch“ für Reinhold Mitterlehner etwa. Das mag zum einen dem Umstand geschuldet sein, dass Kurz vor allem deswegen von den ÖVP-Landeshauptleuten gedrängt worden ist, das Kanzleramt abzugeben. Zum anderen aber geht es natürlich darum, zu verharmlosen und alles entschuldbar zu machen.

„Ich verstehe absolut, dass man an den Bundeskanzler ganz besondere Erwartungen hat, was die Wortwahl betrifft. Aber genauso wie ich zu Hause nicht im Anzug herumlaufe, genauso bin ich nicht nur ein Politiker, sondern ein Mensch. Ich bin kein Roboter, sondern ein Mensch mit Fehlern, mit Emotionen. Und ja, leider auch manchmal mit Formulierungen, die ich öffentlich nicht verwenden würde. Ich habe mich bereits für diese Formulierungen entschuldigt und ich bedauere sie auch“, sagt Sebastian Kurz. Botschaft: Mehr war nicht, ich habe reagiert, also kehren wir zurück zur Tagesordnung. Gesühnt will er ohnehin schon haben, was er angerichtet hat; und zwar durch Gefühle „von Enttäuschung, Resignation, Wut“. Schallenberg assistierte im ZIB2-Interview mit Armin Wolf insofern, als er meinte, dass „diese neuen Chats ja teilweise auch ganz völlig normale politische, innenpolitische Diskussion gewesen“ seien.

Dieses Entrücken von Ereignissen hat System: Eine Regierungskrise hat es nach Kurz-Darstellung zuletzt nicht gegeben, weil Hausdurchsuchungen im Kanzleramt, in der ÖVP-Zentrale und im Finanzministerium stattgefunden haben, und weil in diesem Zusammenhang strafrechtlich erst zu klärende, politisch aber schon als indiskutabel feststehende Vorgänge öffentlich geworden sind; nein, die Krise sei gewesen, dass die Grünen in Bezug auf die Regierungszusammenarbeit auf die Stopp-Taste gedrückt hätten.

Das darf nicht durchgehen. Wie bei Ibiza: Nach Veröffentlichung des Videos war beschämend, dass es eher nur um die Männer und Frauen ging, die es erstellt hatten. Politisch beschränkte sich die Konsequenz auf den Rücktritt von Heinz-Christian Strache und den Rauswurf der Freiheitlichen aus der damaligen Regierung. Entscheidende Punkte aber, die Strache angesprochen hatte, blieben stehen: ein verwerfliches, schlicht korruptes Verhältnis zwischen Politik und Medien; willkürliche Auftragsvergaben; und illegale Parteienfinanzierung beispielsweise. Strache hat hier auf Realitäten hingewiesen. Dagegen unternommen wurde nichts, es kam weder zu einem Transparenz- noch zu einem Strafrechtsverschärfungspaket.

Diesbezüglich steht Österreich wieder an einem kritischen Punkt: Werden Missstände benannt oder ausgeblendet, wie es Kurz und Schallenberg versuchen; wird Inseratenkorruption eingestellt oder geht einfach alles weiter wie bisher; kommen strenge Regeln für die Parteienfinanzierung oder bleibt es normal, dass ganze zwei Jahre nach dem Nationalratswahljahr 2019 z.B. der ÖVP-Rechenschaftsbericht noch länger auf sich warten lässt, dem aufgrund fehlender Bestimmungen ohnehin nicht viel zu entnehmen sein wird?

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