Nehammers Fehlstart

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ANALYSE. Man sollte nicht unterschätzen, was der Kanzler und designierte ÖVP-Chef zusammengebracht hat. Es ist jedoch zu wenig für Österreich und die Volkspartei.

Fünf Monate nach Übernahme von Kanzleramt und ÖVP-Führung hat Karl Nehammer nicht nichts erreicht: Am Ballhausplatz regieren weniger große Töne, Angriffe auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sind eingestellt, die Volkspartei mag nicht mehr neu sein, existiert aber noch, ja sie ist nach wie vor bestimmender Teil der Regierung. All das fällt weniger auf, weil es nach Sebastian Kurz lediglich der Rückkehr zu einem gewissen Normalität gleichkommt. Und weil Nehammer in Bezug auf seine Partei nur verhindert hat, was nach Kurz möglich schien; nämlich, dass sie aus der Regierung fliegt und – zumindest auf Bundesebene – in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Mit dem, was heute ist, können jedoch weder Österreich noch die ÖVP zufrieden sein. Nehammer weiß das. Laut „Kurier“ will er nach dem Bundesparteitag Mitte Mai, auf dem er endlich zum Obmann gewählt werden soll, personelle Veränderungen vornehmen. Laura Sachslehner soll als Generalsekretärin abgelöst werden. Nichts gegen die 27-Jährige: Es spricht eher gegen Nehammer, im Dezember keine erfahrene Person mit dieser Funktion betraut zu haben. Immerhin befindet sich die Partei in einer veritablen Krise. Außerdem soll, wie der „Kurier“ berichtet, Margarete Schramböck als Wirtschaftsministerin gehen müssen.

Und dann? Karl Nehammer ist sowohl an der Spitze der Regierung als auch an der seiner Partei eine Art Amtsverweser. Für wen, ist genauso offen wie die Frage, wohin er will. Das ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass er ohne vorherige Ambition, geschweige denn einen Plan, übernehmen musste. Es ists ihm bis heute nicht gelungen, Antworten zu liefern.

Warum war er in Moskau? Hat er mit seinem Besuch bei Wladimir Putin irgendeinen Prozess eingeleitet oder ist dieses Kapitel so schnell erledigt wie es aufgeschlagen wurde? Besitzt er sicherheitspolitische Ideen für Österreich, die über Neutralitätsfloskeln hinausgehen? Was bedeuten etwa Bildung, Leistung und gesellschaftliche Solidarität für ihn? Wen will er mit der ÖVP ansprechen, welche Perspektive sieht er für sie?

Natürlich, das sind unglaublich viele Herausforderungen für einen Mann. Umso wichtiger wäre es, dass er erstens grundsätzliche Vorstellungen und zweitens ein paar Berater hat. Was letztere betrifft, stechen in der öffentlichen Wahrnehmung zwei hervor: Katharina Nehammer und Kai Diekmann. Sie stehen für Kommunikation. Aber wo bleibt der Inhalt? Wer es gut mit dem Kanzler meinen würde, würde dafür sorgen, dass ein paar echte Fachleute zu dringlichen Problemen in Verbindung gebracht werden mit ihm. Das würde verdeutlichen, dass er ernste, inhaltliche Anliegen hat.

Die österreichische Innenpolitik befindet sich in einem seltsamen Zustand des Stillstandes und des Überganges gleichermaßen: Die Coronakrise ist noch nicht überstanden und wird längst durch den Ukraine-Krieg und alles überlagert, was damit einhergeht. Zum Beispiel Preissteigerungen und die Unsicherheit in Bezug auf die Energieversorgung. Diesbezüglich lässt Nehammer aus. Selbst kommunikativ nämlich; er verzichtet darauf, wie deutsche Regierungspolitiker auf härtete Zeiten vorzubereiten genauso, wie zu betonen, dass man das gemeinsam schaffen werde. Da ist nichts.

Ein Ergebnis kommt in der jüngsten Umfrage von APA und ATV zum Ausdruck, die von den meisten Medien in seinem Sinne interpretiert wurde; dass er in der Gunst der ÖVP-Wähler:innen mittlerweile nämlich klar vor Kurz liege. In Wirklichkeit sollte das selbstverständlich sein. Nach alldem, was an Affären und Versagen zusammengekommen ist in der jüngeren Vergangenheit, wäre alles andere höchst seltsam. Bemerkenswert erscheint eher, dass er nur von 48 Prozent der noch vorhandenen Anhänger:innen (das sind gut ein Drittel weniger als bei der Nationalratswahl 2019) als am besten geeignet für den ÖVP-Vorsitz erachtet wird. Und dass Kurz noch immer auf stattliche 27 Prozent kommt. Hier gibt es ganz offensichtlich ein Führungsvakuum.

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