Kurz und das große Schweigen

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ANALYSE. Kein Gewissen, keine Obmanndebatte: Zumindest ebenso aussagekräftig wie die Chat-Protokolle sind die Reaktionen darauf.

Man könnte lang und breit darüber diskutieren, was schlimmer ist: Gezielt Verwerfliches anrichten; oder hinterher, wenn es aufgeflogen ist, exakt null Bedauern äußern. Die Frage stellt sich im Zusammenhang mit den „Chat-Protokollen“, die vergangene Woche bekannt geworden sind. Autoren der Texte sind Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) sowie der heutige Chef der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖBAG, Thomas Schmid.

Kurz hat bisher nur eine Gelegenheit genützt, sich dazu zu äußern. In einer Sitzung des Bundesrates erklärte er, er werde es niemals akzeptieren, wenn ihm Korruption oder strafrechtlich relevante Handlungen unterstellt werden. Und sinngemäß: Es sei Aufgabe politischer Vertreter, Personalentscheidungen zu treffen; rote könnten nicht nur gut und türkise ausschließlich ein Verbrechen sein.

Der Bundeskanzler hat hier wieder einmal bewusst irreführende Zusammenhänge erfunden: Zum einen hat er die Vorfälle kriminalisiert; er hat den Eindruck vermittelt, es gehe darum, ihm Strafrechtliches anzulasten. Das ist nicht korrekt: Hier geht es vorerst um politische Praktiken und auch Verantwortlichkeiten. Zweitens: Kurz tut zugleich so, als seien solche Personalentscheidungen das Normalste der Welt. Das ist absurd: Selbstverständlich gehören Personalentscheidungen zum Aufgabenprogramm einer Regierung. Im konkreten Fall ging es aber weit darüber hinaus; nämlich darum, einem Vertrauten eine Ausschreibung, ja gleich auch eine Gesellschaft zurechtrichten. Blümel bezeichnete die ÖBAG sogar ausdrücklich als „Schmid AG“.

Der Kanzler erfindet also Vorwürfe gegen sich selbst, die er umso leichter zurückweisen kann; und er verharmlost rein parteipolitisch-persönlich motivierten Machtmissbrauch mit Postenschacher. Wobei letzteres einem Eingeständnis gleichkommt: Die „neue“ ÖVP macht nichts besser als die herkömmliche. All das Gerede von sauberer Politik, von Leistung und dergleichen war nichts als heiße Luft.

Spannend ist, worauf Sebastian Kurz bisher nicht reagiert hat: Hätte er ein Gewissen, würde das, was er und seine Vertrauten geschrieben haben, bedauern. Öffentlich wie unmissverständlich. Insbesondere auch ausdrückliche seine Aufforderung, einem Vertreter der katholischen Kirche „Vollgas“ zu geben; und seine Antwort „Super, danke vielmals!!!“ an Thomas Schmid, nachdem dieser berichtet hatte, dem Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, so sehr zugesetzt zu haben, dass er „zunächst rot, dann blass, dann zittrig“ gewesen sei.

Dazu schweigt der Bundeskanzler und ÖVP-Obmann: Das Unverzeihliche ist für ihn eher nur insofern unverzeihlich, als es seine Popularitätswerte stören könnte. Er hat nicht die Größe, sich hinzustellen und sich zu entschuldigen. Wofür auch? Was mit den Textnachrichten publik geworden ist, ist hinter den Kulissen offenbar ganz normal für ihn. Im Übrigen geht er davon aus, eine Masse mit dem Versprechen, dass Corona-Beschränkungen im Mai gelockert werden, davon ablenken zu können; was bei der Berichterstattung übers Osterwochenende sogar aufgehen könnte.

Sebastian Kurz kann sich sehr viel leisten. Seine ÖVP liegt noch immer gut und gerne zehn Prozentpunkte vor der SPÖ und rund 20 vor der FPÖ an der Spitze. Wie er schweigen außerdem alle maßgeblichen ÖVP-Politikerinnen und -Politiker zu den Chat-Protokollen, von den Landeshauptleuten, von Markus Wallner (Vbg) bis Johanna Mikl-Leitner (NÖ), bis zu den Bündeobleuten, von Harald Mahrer (Wirtschaft) bis August Wöginger (ÖAAB), der zugleich ja auch sein Klubobmann ist. Unter diesen Umständen gibt es das, was Kurz-Kritikerinnen und Kritiker orten, nicht einmal ansatzweise: eine Obmanndebatte. Im Gegenteil: Für Kurz geht das alles durch, so lange es der Partei und ihren Einflussmöglichkeiten nicht schadet.

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