Freiheitliche zurechtgerichtet

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ANALYSE. Ohne (zumindest theoretisch mögliche) Alternative zu Türkis-Grün hat Sebastian Kurz keine Verhandlungsposition. Sein Glück: Er bekommt sie. Und zwar gleich zweifach.

In der FPÖ geht die Panik um. ÖVP und Grüne reden wirklich ernsthaft miteinander. Soll heißen: Sie selbst könnten wieder einmal für längere Zeit auf der Oppositionsbank landen. Also sprach der burgenländische Landesobmann Johann Tschürtz, man möge auf Bundesebene doch eine Konzentrationsregierung bilden. Begründung: Österreich würden schwierige Zeiten bevorstehen, da sollten sich alle Parteien zusammentun. Das freilich ist durchschaubar: Wirtschaftlich gesehen werden zumindest die nächsten ein, zwei Jahre nicht lustig, von einer echten Krise kann bisher aber keine Rede sein. Eine Art Notstandsregierung ist also noch lange nicht nötig. Das weiß natürlich auch Tschürtz. Ihm geht es folglich wohl eher nur darum, die Freiheitlichen irgendwie und um jeden Preis in die künftige Regierung zu bringen; ja, selbst dann, wenn sie dort unter anderem neben Grünen sitzen, die laut FPÖ-Chef Norbert Hofer eine „Weltuntergangssekte“ bilden.

Sebastian Kurz kann das nur recht sein: Das Schlimmste für ihn wäre bei der ganzen Regierungsbildung, nur eine Option zu haben. Ein, zwei weitere, die zumindest nicht ganz ausgeschlossen sind, braucht er in jedem Fall. Sonst hat er keine Verhandlungsposition. Sonst könnte er, Wahlsieg hin, Wahlsieg her, die Grünen gleich bitten, zu sagen, was sie sich für eine Koalition so wünschen würden; aufgrund seiner Alternativlosigkeit sei er bereit, alles zu erfüllen.

Die Option „Große Koalition“ ist keine und wird wohl auch keine mehr. Kurz selbst hat der Sozialdemokratie zu oft Stillstand attestiert und die Sozialdemokraten sind im Unterschied zu den heutigen Grünen wiederum so undiszipliniert, dass sich die einen noch gesprächsbereit zeigen, während die anderen schon rufen, dass das eh nicht’s werde.

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Die Option „Türkis-Blau“ ist von der ÖVP bisher nicht ausgeschlossen worden. Das ist bemerkenswert: Die jüngste Liederbuchaffäre hat Kurz zwar dazu motiviert, zu sagen, dass bekannte Passagen „extrem widerlich“ und „zutiefst antisemitisch“ seien. Schon allein, dass eine Fortsetzung der Koalition trotzdem möglich bleibt, zeigt aber, dass er das eher nur dazu nützt, sich die Freiheitlichen zurechtzurichten: Im Fall des Falles wird Norbert Hofer alles für eine Zusammenarbeit geben müssen. Den einen oder anderen Abgeordneten muss er ausschließen, Kickl als Innenminister geht sowieso nicht und so weiter und so fort. Dass das aufgehen könnte, bringt unfreiwillig nicht nur der eingangs erwähnte Tschürtz zum Ausdruck. Auch Hofer selbst hat es sich längst gefallen lassen, dass Kickl nicht Innenminister werden könnte.

Aus dem Zustand von SPÖ und FPÖ ergibt sich mehr und mehr noch eine zweite Option für Kurz, die zunächst einmal einfach nur seine Verhandlungsposition stärkt: eine Minderheitsregierung. Sie könnte sehr stabil sein. Sowohl Sozialdemokraten als auch Freiheitliche müssen Nationalratswahlen auf längere, unabsehbare Zeit fürchten wie sonst gar nichts. Beide sind weit davon entfernt, kampagnenfähig zu sein. Und überhaupt Man stelle sich beispielsweise eine Neuwahl parallel zur Wiener Gemeinderatswahl im Herbst 2020 vor. Für die dortigen Genossen um Michael Ludwig wäre das nicht lustig; im Gegenteil. Und das wiederum heißt im Umkehrschluss, dass sich eine Minderheitsregierung Kurz auf längere, unabsehbare Zeit halten könnte.

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