ORF lässt tief blicken

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BERICHT. Innenpolitikchef Bürger äußerte sich als Repräsentant des Hauses unter rechten Publizisten zur Coronaberichterstattung. Umso bemerkenswerter: Er selbst würde einiges anders machen.

Was vor zwei Wochen in Bregenz stattfand und sich selbst als den „1. Internationalen Journalistenkongress“ bezeichnete, wurde von der Wiener Stadtzeitung „Falter“ schlicht als „Schwurblerkongress“ dargestellt – nicht zuletzt aufgrund der rechtskonservativen oder vielleicht auch -populistischen Gäste, von Roger Köppel (Weltwoche) über Ferdinand Wegscheider (Servus TV) bis Richard Schmitt (Exxpress).

Geadelt wurde die Veranstaltung durch die Teilnahme von ORF-Innenpolitikchef Hans Bürger. Im „Falter“ wurde er mit diesen Worten zitiert: „Ich war im Auftrag des ORF dort und habe vor allem zur Corona-Politik jene Positionen vertreten, wie sie auch von unserer Wissenschaftsredaktion immer wieder formuliert worden sind. Es war eine harte, aber am Ende vielleicht sogar wichtige Debatte.“

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sucht also die Nähe von Leuten, die ihm einseitige Berichterstattung in der Coronapandemie vorwerfen. Und Bürger ließ in einer Podiumsdiskussion auf ihrem Kongress aufhorchen: Es ist alles nicht so einfach, er selbst würde einiges anders machen.

Laut Hans Bürger war es beispielsweise ein „Fehler“, viel zu viel direkt zu übertragen: Das virologische Quartett, bestehend aus dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und Ex-Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) sowie Vizekanzler Werner Kogler und dem seinerzeitigen Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne), habe auf seinen Pressekonferenzen zu lange dahinreden können. Bürger-Meinung: So geht das nicht.

Der Beginn der Pandemie sei schwierig gewesen, der ORF habe klargestellt, die Gesundheitspolitik der Bundesregierung nicht groß infrage zu stellen. Zunächst seien jedoch alle, auch die Opposition, einen gemeinsamen Weg gegangen. „Dann kam der lustige Oster-Erlass des Rudi Anschober und da sind die Wege auseinandergegangen.“

ORF-intern sei es in weiterer Folge nicht einfach gewesen, sich durchzusetzen. Einmal habe er, Bürger, die Moderation der Diskussionssendung „Politik live“ auf ORF III übernommen. „Da haben sie sechs Befürworter bezüglich Coronamaßnahmen reingesetzt.“ Er habe Zweifel angemeldet, dass es unter diesen Umständen zu einer Diskussion kommen kann; und ob man einen solchen Kurs durchhalten kann: „Weil auf Servus TV schaut es anders aus.“ Aber: „Wenn du im ORF „Servus TV“ sagst, bist du sowieso schon verdächtig.“ Letzten Endes wurde in „Politik live“ offenbar FPÖ-Chef Herbert Kickl zugeschaltet.

Im Unterschied zu einem Privatsender akzeptiere man beim Öffentlich-Rechtlichen die vorherrschende wissenschaftliche Meinung und orientiere sich daran: Wenn von 100 Wissenschaftlern 98 der gleichen Meinung sind, werde man nicht deppert sein, die zwei einzuladen, die nicht dieser Meinung sind. Mit einem der beiden könnte man das nur machen, wenn man 49 aus der ersten Gruppe einlädt. Schwierig. Aber Private scheren sich nicht darum.

Der deutsche Publizist Roland Tichy fand es wenig überzeugend. Er hörte es sich, neben dem ORF-Repräsentanten sitzend, an und sprach von einer „intellektuellen Kapitulationserklärung“, „nachzuplappern“, was 98 Wissenschaftler meinen. Sprich: Der ORF müsste sich ändern, um eine Brücke zu diesen Kreisen zu schlagen. Wird spanend.

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