Ein Fall für einen U-Ausschuss

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ANALYSE. Wo, wenn nicht auch bei der Corona-Impfung geht es um politische Verantwortung? Vom Start über die Pflicht bis zum nunmehrigen Vergessen des Ganzen – mit unabsehbaren Folgen.

Die österreichische Geschichte zur Corona-Impfung ist eine Geschichte des politischen Versagens. Was man nicht missverstehen sollte: Für die Haltung einzelner Bürgerinnen und Bürger kann Ex-Ex-Kanzler Sebastian Kurz genauso wenig wie sein Nach-Nachfolger Karl Nehammer (ÖVP), Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) oder die Landeshauptleute. Der Punkt ist jedoch der: Die Genannten sind vom Wert der Impfung überzeugt, haben zu vieles jedoch nicht ernst genommen und zuletzt auch noch großen Schaden angerichtet. Das kann verhängnisvoll werden – und wäre, wenn es nicht schon einen geben würde, ein Fall für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Es geht um politische Verantwortung.

Am 22. Dezember 2020 ist in Österreich noch keine Impfdosis verabreicht worden. Florian Spitzer, Verhaltensökonom am Institut für Höhere Studien (IHS), veröffentlichte an diesem Tag eine Art Warnung. Titel: „Stell Dir vor, es ist Impfung und keiner geht hin.“ Die Formulierung war zugespitzt. In der Sache ging es Spitzer jedoch darum, darauf hinzuweisen, dass die Impfskepsis in der Bevölkerung grundsätzlich sehr groß ist und das Unbehagen nun sogar stärker sein könnte als bei anderen Impfungen. Umso wichtiger wäre es, sich zu überlegen, wie man die Leute dafür gewinnt, so der Experte.

Von der Politik ist das nicht einmal ignoriert worden. Zunächst gab es zu wenig Impfstoff und eher nur Debatten über einige Bürgermeister und andere Vordrängler. Deren Vorgehen ging als Kavaliersdelikt durch. Als es genug Impfstoff gab, verließ man sich darauf, dass Botschaften wie „Game-Changer für eine Rückkehr zur Normalität“ ausreichen, um die Masse zu mobilisieren. Eine Zeit lang schien das sogar zu wirken. Allein: Wie etwa das Corona-Panel der Uni Wien immer wieder dokumentierte, blieb der Anteil derer, die sich nicht impfen lassen wollen, bedeutend. Politisch wurde jedoch nicht darauf reagiert.

Im Gegenteil: Als im Frühsommer etwa die ÖVP plakatierte, die Pandemie sei gemeistert, und ihr damaliger Obmann, Sebastian Kurz, in einem Interview mit Bundesländerzeitungen erklärte, die Krise redimensioniere sich, sie wandle sich von einer akuten gesamtgesellschaftlichen Herausforderung zu einem individuellen medizinischen Problem, klang das für eine Masse so erfreulich, dass sie aufs Impfen vergaß. Nicht nur die beginnende Urlaubszeit dürfte jedenfalls ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass der Anteil der täglichen Erstimpfungen gemessen an der Bevölkerung auf weniger als ein Zehntelprozent zurückging, der Impffortschritt also de facto zum Erliegen kam.

Es folgte der oberösterreichische Landtagswahlkampf, in dem die Pandemie parteipolitisch motiviert kein Thema sein durfte, sowie eine Infektionswelle, die man laufen ließ, bis es zu spät war; bis man sich gezwungen sah, den Impffortschritt wieder zu verstärken. Zu wenige Leute ließen sich in Anbetracht der Gefährdungslage nun doch impfen.

Jetzt wäre vielleicht noch eine letzte Gelegenheit gewesen, Tipps von Verhaltenswissenschaftlern wie Spitzer aufzugreifen. Man ging jedoch gleich über zu Druckausübung. Stichwort „Lockdown für Ungeimpfte“. Von dem Tag an, an dem dieser Mitte November startete, ging die Zahl der Erstimpfungen stark zurück (siehe Grafik). Das hätte man umgehend erkennen und sich genauer anschauen können, ja müssen. Allein: Auf Wunsch der Landeshauptleute wurde eine Impfpflicht angekündigt, der Druck also massiv erhöht.

Mittlerweile ist die Impfpflicht in Kraft getreten und heute, wenige Tage danach, beträgt der Anteil der Erstimpfungen pro Tag im Schnitt nur noch 0,01 Prozent. Unter diesen Umständen dauert es mehr als drei Monate, bis auch nur ein Prozent zusammengekommen ist.

Gerade auch im Zusammenhang mit der Umsetzung der Impfpflicht ist politisches Versagen unübersehbar: Begleitende, motivierende Vorhaben, wie die Lotterie, sind gleich einmal gescheitert. Alternativen sind bis heute nicht ernsthaft angegangen worden. Der quasi-anonyme Brief der „Bundesregierung“ (Absender) „An einen Haushalt“ (Empfänger) mit Informationen zur Impfpflicht zeugt von maximalem Unwillen, sie umzusetzen. Kein Kanzler wollte sich namentlich dafür hergeben, kein Gesundheitsminister und schon gar kein Landeshauptmann. Es gibt keine persönliche oder auch nur zielgruppenspezifische Anrede, wie sie von all den Politprofis in jedem Wahlkampf hundertfach gerne praktiziert wird. Signal: Nehammer und Co. haben sich mit der Impfpflicht selbst zu etwas verpflichtet, was sie nicht mögen und daher auch nicht umsetzen. Dafür gehören sie doppelt zur Verantwortung gezogen.

Zumal es noch schlimmer kommen könnte: Es ist absehbar, dass die Kommission, die über ein Wirklich-Ernstmachen bei der Impfpflicht entscheiden soll, so zusammengesetzt wird, dass herauskommt, was erwünscht ist. Schlichtes Vergessen. Schon die nunmehrigen Lockerungen laufen darauf hinaus, dass Zertifikate verschwinden und theoretisch nur noch bei Verkehrskontrollen überprüft werden könnte, ob die Pflicht eingehalten wird. Was natürlich nicht gemacht werden wird.

Ein Großteil der Wissenschaft, auf die Regierende immer wieder verweisen, ist der Überzeugung, dass es im kommenden Herbst und Winter auf eine hohe Durchimpfungsrate bzw. viele Geboosterte ankommt. Auch Gecko sagt das. Allein: Das bisherige Vorgehen bzw. die Pflicht hat zu einer massiven Verhärtung geführt. Irgendein weiterer Brief oder so etwas wird im Sommer nicht ausreichen, um zeitgerecht fürs Impfen zu motivieren. Dann wird eher sogenannte Normalität genossen.

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